16S2 Die KPrchverMtlliffk der Meßschmtz oon I. Dunzikev. (Separatabdruck aus der Schweiz. Rundschau.) Aarau. N. Laurrländer L Comp. 1696. Dl_ Dir SprachverlMknissr der Westschwri;? i. Die Nationalität, wie sie lebt und webt in der Sprache, bildet, als Revers sozusagen des kosmopolitischen Zuges der Zeit, eines der stärksten Fermente im Völkerleben der Gegenwart. Auf ihrer Grundlage sind innerhalb weniger Jahrzehnte im Norden und im Süden von uns zwei mächtige Staaten neu erstanden. Im vielsprachigen Oesterreich, wo sich politische Gegensätze mit nationalen verbinden, ist daraus jener leidenschaftlich geführte Sprachen- und Rassenkampf hervorgegangen, der unter Umständen selbst den staatlichen Zusammenhang bedroht. Auch die Schweiz ist ein vielsprachiges Land. Aber die gesetzlich anerkannte Gleichberechtigung unserer drei Nationalsprachcn, die ungehemmte Betätigung dieser gleichen Rechte im Rahmen unserer freien Institutionen haben von je verhindert und werden hoffentlich stets verhindern, daß der edle und fruchtbare Wettstreit zweier oder dreier hochentwickelter Kultursprachcn zum Rassenkampf unter uns ausarte. Wir Deutschschweizer zumal sind uns eines Gegensatzes zur Sprache unserer Mitbürger in der Westschweiz so wenig bewußt, daß wir es allgemein für selbstverständlich halten, dieselbe als unentbehrliches Verständiguugsmittel neben der unsrigen mitzuerlernen. Eine etwas andere Stellung allerdings nimmt der französisch-sprechende Westschweizer ein. Angesichts der deutschen Majorität und der deutschen Einwanderung ist er auf Wahrung seiner Nationalität sorgsam bedacht und bleibt sich des hohen Wertes seiner Kultursprache, die zugleich Weltsprache ist, nicht minder der großen materiellen Vorteile, die für ihn daraus entspringen, vollkommen bewußt. Jeder Welsche ist geborener Träger der Propaganda für seine Sprache. Zu dieser spontanen, sozusagen bodenständigen Tendenz tritt eine zweite, zielbewußte, nicht schweizerischen Ursprungs. Sie entstand in Paris im Jahre 1883 unter dem Namen der Alliance frangaise, dem Seitenstück zum deutschen Schulderem. Im Jahre 1889 zählte dieselbe 15,000 Mitglieder und verfügte. über ein Jahresbüdget von 80,000 Fr. « ll'^lliaucs lrangaiss,» so schreibt sie selbst, »a pour llut äs propaAsr la lauAus trautzaiss äans tss ooIonis8 st ü l'ÄraQAsr. Us8poatusu8s äu Aouvsrirsiusut 6s soir paz-8, slls s'slkorss äs !s sssouäsr partout oü it 68t aller iui st Is irialtrs; slls psut agir ä sa plass lü oü il ris^usrait äs ss aompromsttrs. llllls s'aärssss sir irisms tsmps au sovorusrss krauyais äout slls sst I'alliüs ^ Die nachstehenden Zahlenangaben und Berechnungen sind durch unsern Kollegen Herrn Dr. Bigler sämtlich aufs sorgfältigste verifiziert worden, wofür ihm hier der wohlverdiente Tank ausgesprochen wird. Nur die Prozentzahlen der Lokalgruppen in Abschnitt IV sind der Publikation von Herrn Dr. Zemmrich entnommen. 2 Naturells, oar Is. propUKatioa äs la lanZus kranyLiss S8t la slsk äss inarsliss sxt^risurs. « Die Tätigkeit der ^llianss trantzaiss erstreckt sich auch auf die Schweiz. Zweigvereine derselben existieren in Zürich und Basel. Ihr Delegierter im Jahre 1889 war Herr Pros. Knapp in Neuenburg. Ein gedruckter Bericht desselben spricht sich über die schweizerischen Sprachverhältnisse aus wie folgt: „Die französische Sprache weicht in der Schweiz vor der deutschen Sprache nicht zurück. Nicht allein hält das Französische seit Jahrhunderten seine Grenzen fest, es greift auch von Stufe zu Stufe in das Gebiet des Deutschen hinüber. In Freiburg z. B., wo das Deutsche noch im Anfang des Jahrhunderts die offizielle Sprache war, gibt es beinahe keine Deutschen mehr. Siders und die benachbarten Gemeinden des Oberwallis romanisiereu sich mehr und mehr. Es ist wahr, daß im Kanton Neuenburg die eingeborene Bevölkerung stufenweise abnimmt, sei es aus Mangel an Geburten, sei es durch Auswanderungen, so sehr, daß die Neuenburgcr in ihrem eigenen Kanton in Minderheit sind (47 auf 100.) Sie werden ersetzt durch Schweizer anderer Kantone, besonders durch Bcrner (mehr als 30,000 auf 100,000 Einwohner); aber die Neuangekommenen behalten ihre Muttersprache nicht lange bei; in der dritten Generation haben sie dieselbe vollständig vergessen. Der Kanton Neuenburg empfängt Deutsche und liefert Franzosen. In einem geringern Grade wiederholen sich dieselben Erscheinungen in den übrigen romanischen Kantonen." Es folgen die offiziellen Angaben über die Sprachenverhältnisse der schweizerischen Bevölkerung im Jahre 1888. Herr Knapp konstatiert, das Französische habe von 1880 bis 1888 zugenommen um 0,38 Prozent, das Deutsche abgenommen um 0,03 Prozent. Er fährt fort: „Diese Zunahme des Französischen in den acht letzten Jahren ist gering zwar, aber alles läßt voraussehen, daß diese Bewegung sich steigern wird. In der Tat beherbergt die romanische Schweiz nahezu 95,000 Deutsche, deren Kinder die Schule ohne Unterlaß und in einem fort entnationalifiert, während die deutsche Schweiz, dreimal größer, nur 19,000 Franzosen Asyl gewährt. Außerdem haben die ökonomischen Schwierigkeiten der letzten Jahre eine Auswandernngsströmung herbeigeführt, besonders nach Amerika, welche sich in den deutschsprechendcn Kantonen besonders fühlbar macht. So hat im Kanton Bern das deutsche Element um 11,4 auf 1000 abgenomnicn; hingegen hat das welsche Element sich um 10,8 auf 1000 vermehrt. Dank der Auswanderung der Uhrenmacher aus dem Hochjura sieht Viel seine französische Bevölkerung sich an Zahl und Einfluß unaufhörlich mehren, und — ein wichtiges Faktum — diese Bevölkerung, die ihre eigenen Schulen hat, germanisiert sich nicht. — Im Kanton Ncuenburg hat die deutschsprachliche * Bevölkerung sich um 1707 Seelen vermindert, und gleichzeitig hat das Französische uni 6842 Personen zugenommen. — Dieselbe Erscheinung kehrt wieder im Wallis. Die Deutschen, welche 31,69 Prozent der Totalbcvölkerung dieses ' Knapp schreibt «Is, Population är'ts äs laogus sllsiusnäs», was an den kirchlichen Ausdruck erinnert « Is rsliziou Lrete-rärre rökormso ». 3 Kantons ausmachen, haben um 0,2 Prozent oder 2 auf 1000 abgenommen, während die Franzosen, die ebenfalls gegen die Italiener gewonnen haben, 67,38 Prozent der Bevölkerung bilden, und um 0,32 Prozent zugenommen haben. — In den Kantonen Waat, Frciburg und Genf scheint die deutsche Bevölkerung sich um etwas vermehrt zu haben; aber es ist vorauszusehen, daß auch hier die Französisierung dieses leicht assimilierbaren Elements ohne Verzug sich vollziehen wird." In vollkommenem Widersprüche zu der Perspektive, die uns Herr Knapp hier eröffnet, scheinen die Resultate zu stehen, zu welchen Herr Dr. Zemmrich in seiner Broschüre gelangt: „Verbreitung und Bewegung der Deutschen in der französischen Schweiz, Stuttgart 1894". Er beschränkt freilich seine Untersuchung, wie der Titel besagt, auf ein einzelnes Moment des ganzen Sprachprozesses, nämlich auf das Deutsche in der französischen Schweiz, und sagt davon: „Im Durchschnitt haben deutsche und französische Bevölkerung im letzten Jahrzehnt gleichen Schritt in ihrer Vermehrung gehalten. Verschiebungen der Sprachgrenze sind ausschließlich zum Vorteil des deutschen Sprachgebietes erfolgt. Die Angabe, welche vor einiger Zeit durch die Zeitungen lief, daß das französische Element auf Kosten des deutschen sich räumlich ausdehne, ist also durchaus unzutreffend. Die Deutschen sind ein wesentlicher Faktor der Bevölkerung der französischen Schweiz geworden und werden es bleiben, vermöge ihrer Zahl und ihrer Ex- pansionskrast, die immer neue Einwanderer zuführt. Sie bilden in einem großen Teil des Jura ein Viertel bis die Hälfte der Bevölkerung, und es ist keine Uebertreibung, wenn ich behaupte, daß bei Errichtung deutscher Schulen die Sprachgrenze bald bis Chaux-de-Fonds und Ncuchülel vorrücken würde." Diese wirklichen oder scheinbaren Widersprüche erklären sich zum Teil aus der Beschaffenheit des Aktenmaterials. Die eidgenössische Statistik, statt die Sprachenfrage klar zu stellen, hat wesentlich dazu beigetragen, sie zu verwirren. In den ersten Volkszählungen wurde nur die Zahl der Haushaltungen mit deutscher, beziehungsweise französischer oder anderer Muttersprache ermittelt, und selbst der Begriff der Haushaltung wurde 1860 und 1870 verschieden gefaßt. Für beide gilt, daß die daraus sich ergebenden relativen Zahlen für die Deutschen zu niedrig sind; denn die zahlreichen Deutschen, welche französischen Haushaltungen angehören, konnten dabei nicht berücksichtigt werden, und die deutschen Haushaltungen zählen durchschnittlich mehr Köpfe als die französischen. Für 1880 ist die Muttersprache der ortsanwesenden Bevölkerung veröffentlicht worden, die Zählungsresultate von 1888 dagegen beziehen sich auf die Sprache der Wohnbevölkerung. Zwar sind auch die Zahlen der Ortsanwesenden bezüglich der Muttersprache in der provisorischen Publikation der „Vorläufigen Resultate der eidg. Volkszählung von 1888" aufgeführt, aber diese Zahlen differieren merklich von denjenigen der definitiven Publikation und erstrecken sich nur auf die politischen Bezirke, nicht auf die Gemeinden. Ueberdies erscheint die ortsanwescndc deutsche Bevölkerung nicht nur absolut, sondern auch relativ immer höher als die deutsche Wohnbevölkerung. Bei der Zusammenstellung der Volkszählungen von 1860, 1870, 1880 und 1888 ist also zu beachten, daß die 4 Zahlen von 1860 und 1870 für die Deutschen in der Westschweiz um ein Bedeutendes zu niedrig sind, diejenigen von 1880 hingegen im Verhältnis zu 1888 etwas zu hoch. II. Im folgenden werden die Berechnungen nach der provisorischen Publikation von 1888 mit .4 bezeichnet, diejenigen nach der definitiven mit 6. Den Angaben von Herrn Knapp liegt ^4 zu Grunde, denjenigen von Herrn Zemmrich 6. Im Jahre 1880 betrug die Gesamtbevölkerung der Schweiz 2,846,102 Seelen, nämlich Deutschsprechende 2,030,792 (— 71,35 °/»), Französischsprechende 608,007 (— 21,36 °/o), Italiener 161,923 (— 5,69 °/»), Rätoromanen 38,705 (— 1,36 °/»), andere Sprachen 6,675 (— 0,23 °/»). Im Jahre 1888 sprachen (nach X) von 2,934,377 Ortsanwesenden 2,092,530 (— 71,31°/») das Deutsche, 637,972 (^ 21,74°/») das Französische, 156,606 (— 5,34°/») das Italienische, 38,375 (— 1,31 °/») das Rätoromanische, 8574 (— 0,29 °/») andere Sprachen. Es haben also nach dieser Berechnung in der Periode von 1880 auf 1888 verloren: das Deutsche , das Italienische das Rätoromanische gewonnen: das Französische andere Sprachen Der größte Verlust fällt somit auf das Italienische, die drei Kantone Schwyz, Uri und Tessin beherbergten im des Baues der Gotthardbahn 10,666 Italiener mehr als 0,04 «/» 0,35 °/o 0,05 °/o 0,38 °/a 0,06 °/» Das erklärt sich so: Jahre 1880 während seither. Ziehen wir diesen vorübergehenden Zuschlag von 10,666 Italienern von der Zahl der Ortsanwesenden von 1880 ab, so stellt sich die Rechnung anders: dann haben nämlich verloren: das Deutsche.0,31 »/» das Rätoromanische gewonnen: das Französische andere Sprachen Das Italienische ist sich gleichgeblieben. Wiederholen wir der Sicherheit wegen dieselbe Berechnung nach 6, und zwar zunächst mit Belassung der 10,666 Italiener, so haben verloren: das Italienische . . das Rätoromanische gewonnen: das Deutsche das Französische Andere Sprachen sind sich gleichgeblieben. Bringen wir aber auch hier die 10,666 Italiener in Abzug, so haben verloren: das Deutsche das Italienische . das Rätoromanische gewonnen: das Französische Andere Sprachen sind sich gleichgeblieben. 0,05 °/o 0,30 °/o 0,06 °/o 0,38 °/o 0,05 °/„ 0,04 «/» 0,39 °/» m Abzug, so 0,23 °/» 0,02 ° /» 0,05 °/° 0,30 »/» 5 Es kann also in kurzen Worten das sichere Ergebnis dieser Berechnungen so zusammengefaßt werden: das Französische hat von 1880 bis 1888 gewonnen 0,30 bis 0,38°/«; der Verlust fällt ganz oder größtenteils auf das Italienische, wenn man die genannten 10,666 mitrechnet, im andern Fall auf das Deutsche, das auch nach der günstigsten Rechnung um 0,35 °/o hinter dem Zuwachs des Französischen zurückblieb, nach der ungünstigsten um 0,61 °/o. Fügen wir gleich noch hinzu, daß auch von 1860 auf 1870 das Deutsche 0,47 °/« verloren, das Französische 0,61 °/o gewonnen hat. Wenn dann von 1870 auf 1880 das Deutsche plötzlich um 2,32 °/« steigt, das Französische um 2,62 sinkt, so wird niemand mit Fug behaupten wollen, daß dieser Sprung der Realität entspreche; vielmehr ist er zweifelsohne zurückzuführen auf die Verschiedenheit der Zählmethode. Höchst wahrscheinlich war die deutsche Bevölkerung auch von 1870 auf 1880 im Sinken begriffen, die französische im Steigen, wie dieses für die Perioden von 1860 auf 1870 und von 1880 auf 1888 vollkommen feststeht. Den Grund der Verschiedenheit der deutschen und der französischen Sprach- bewegung streift die offizielle Statistik, wenn sie (1892, S. 74) sagt: „Werden für jede Sprache diejenigen Bezirke, in denen diese Sprache die herrschende, oder doch die am stärksten vertretene ist, als das eigene Gebiet dieser Sprache bezeichnet, dem gegenüber alle andern Bezirke das auswärtige Gebiet dieser nämlichen Sprache ausmachen, so ist es ohne Zweifel von Unterschied, in welchem Verhältnisse die Sprachgenossen aus ihrem eigenen Gebiete wohnen oder aber über das auswärtige Gebiet zerstreut sind. Diejenigen, bei welchen das letztere zutrifft, sind ohne Zweifel ein weniger gesicherter Bestandteil ihrer bisherigen Sprachgemeinschaft; denn es steht zu erwarten, daß ein Teil ihrer Nachkommen der angestammten Sprache verloren gehen und zu derjenigen ihrer stärkern Umgebung übertreten wird." Dieses trifft in hohem Maße zu für das Deutsche: im Jahre 1888 wohnen von 2,083,097 Deutschen 103,880 in der Diaspora (50 auf 1000), hingegen von 634,613 Franzosen nur 22,857 oder 36 auf 1000. Diese Erwägung erschöpft die Sache nicht, aber sie deutet den Weg an, den wir einzuschlagen haben, um zu den die Sprachbewegung beherrschenden Ursachen vorzudringen. Es gilt Schritt für Schritt die einzelnen Sprachgebiete auszusondern und zu konstatieren, welchen Betrag sie zum Gesamtresultat liefern. Wir beginnen damit, daß wir die sechs Kantone der Westschweiz, welche ganz oder teilweise dem französischen Sprachgebiet angehören, von der übrigen Schweiz abtrennen und uns dabei auf das Deutsche und Französische beschränken. Sie zählten Französisch-Sprechende: im Jahre 1880 601,273 21,12 "/«) „ „ 1888 (ä.) 629,765 21,46"/«) Ihre Zunahme beträgt 28,490 (0,34 °/«) 6 Deutsch-Sprechende: im Jahre 1880 577,387 (— 20,29 » „ „ 1888 <71) 582,129 (— 19,84 °/o) Absolute Zunahme 4,742 (0,45 °/o relative Abnahme). Bringt man die 10,666 Italiener von der Zahl der Ortsanwesenden im Jahr 1880 in Abzug, so sinkt die relative Zunahme des Französischen auf 0,26 o/o, die relative Abnahme des Deutschen steigt auf 0,52 o/o. Wiederholen wir diese Berechnung nach 8, und zwar zunächst mit Belastung der 10,666 Italiener, so verlor das Deutsche 0,47 o/o, und das Französische gewann 0,35 o/„. Bringen wir auch hier die 10,666 Italiener in Abzug, so steigt der Verlust des Deutschen auf 0,54 o/o und der Gewinn des Französischen sinkt auf 0,26 "/o. Dieselben Berechnungen stellen wir in derselben Reihenfolge an für die übrigen 16 Kantone. Sie zählten Französisch-Sprechende: im Jahre 1880 6734 (— 0,24 «/») „ „ 1888 (nachts 8207 (— 0,28 °/o) Ihre Zunahme beträgt 1473 (0,04 o/<>) Deutsch-Sprechende: im Jahre 1880 1,453,405 (— 51,06 «/«) „ „ 1888 (nach L.) 1,510,4 01 51,47 °/v) Ihre Zunahme beträgt 56,996 (0,41"/«) Die 10,666 Italiener in Abzug gebracht, bleibt die Zunahme des Französischen sich gleich (0,04 °/o), die des Deutschen sinkt auf 0,21 o/o. Nach 6 berechnet, mit den 10,666 Italienern, gewinnt das Deutsche 0,51 o/o, das Französische 0,04 "/<,. Werden die 10,666 in Abzug gebracht, so sinkt der Gewinn des Deutschen auf 0,31 °/o, der Gewinn des Französischen bleibt sich gleich (0,04 o/o). Nach dieser vierfachen Berechnung verteilen sich also Gewinn und Verlust des Französischen und des Deutschen von 1880 bis 1888 auf die 6 Kantone der Westschwciz einerseits und auf die 16 übrigen Kantone anderseits wie folgt: 1. Berechnung Französisch. Wcstschweiz. -s- 0,34 °/» -I- 0,26 °/o -s- 0,35 °/° Z- 0,26 °/° Uebrige Schweiz. 0,04 °/o -j- 0,04 °/o -s- 0,04 «/» -s- 0,04 °/o 7 Deutsch. Westschweiz. klebrige Schweiz. 1. Berechnung — 0,45 o/o -s- 0,41 <>/» 2. — 0,52 °/o -s- 0,21 °/» 3- — 0,47 °/o -j- 0,52 °/o 4- — 0,54 °/o -j- 0,31 °/o Aus dieser Uebersicht springt in die Augen, daß nach allen Berechnungen die starke Zunahme des Französischen und eine noch stärkere Abnahme des Deutschen auf die sechs Kantone der Westschweiz fallen, und daß die übrige Schweiz den Verlust des letzter« teilweise wieder ausgleicht und dem Gewinn des Französischen noch 0,04 "/« hinzufügt. Um den letzten Ursachen dieser Bewegung noch näher zu treten, zerlegen wir die Westschweiz in ihre einzelnen Kantone. Die deutsche Bevölkerung derselben, in absoluten Zahlen und in Prozenten der schweizerischen Gesamtbevölkerung betrug nach in den Kantonen 1880 1888 Differenz Bern 452,039 (15,88 o/o) 451,927 (15.40 °/°) — 0,48 7» Neuenburg 24,489 ( 0.86 °/°) 22,782 ( 0,77 °/°) — 0,09 °/o Freiburg 35,705 ( 1.25 «/») 37,315 ( 1.27 "/«) 0,02 °/o Maat 21,692 ( 0,76 °/o) 25,011 ( 0,85 °/°) 0,09 7» Wallis 31,962 ( 1.12°/°) 32,299 ( 1.1 °/°) —- 0,02 °/o Genf 11,500 ( 0,4 °/°) 12,795 ( 0,43 °/o) 0,03 °/o Total — 0,45 7« Nach 8 in den Kantonen 1880 1888 Differenz Bern 452,039 (15,88 °/°) 449,668 (15,41 °/°) — 0,47 7» Neuenburg 24,489 ( 0,86 °/o) 22,579 ( 0,77 °/°) — 0,09 °/o Freiburg 35,705 ( 1.25 °/°) 37,434 ( 1.28 °/°) 0,03 7o Waat 21,692 ( 0,76 °/°) 23,873 ( 0,81 °/°) -l- 0,05 °/° Wallis 31,962 ( 1.12 °/°) 32,471 ( 1.11 7«) — 0,01 °/° Genf 11,500 ( 0,4 °/°) 12,317 ( 0,42 °/o) 0,02 °/o Total — 0,47 °/o Die französische Bevölkerung betrug nach ^: in den Kantonen 1880 1888 Differenz Bern 78,640 (2,76 °/°) 85,535 (2,91 °/°) -i- 0,15 7° Freiburg 79,316 (2,78 °/°) 81,808 (2,79 °/°) -I- 0,01 °/o Waat 212,164 (7,45 °/o) 219,616 (7,48 »/«) 0,03 7o Wallis 67,214 (2,36 °/o) 68,676 (2.84 °/°) — 0,02 7° Neuenburg 77,525 (2.72 °/°) 84,367 (2,87 °/o) - 1 - 0,15 «/o Genf 86,414 (3.03 °/°) 89,763 (3.06 °/o) 0,03 7« Total -7 0,35 o/o Nach 8: in den Kantonen Bern Frciburg Waal Wallis Neuenburg Genf 1880 78,640 79,316 212,164 67,214 77,525 86,414 (2,76 °/°) (2,78 °/°) (7,45 °/°) (2,36 °/°) (2,72 °/°) (3,03 °/°) 1888 85,816 (2,92°/°) (2,78 °/°) (7,48°/°) 81,335 218,358 68,602 83,726 89,111 (2,35 °/°) (2,87 °/°) (3,05 °/°) Total Differenz 0,16 °/° 0,00 ° /° 0,03 «/» 0 , 01 «/» 0,15 °/° 0,02 ° /° -s- 0,35 °/° Aus diesen Zahlenreihen ergibt sich, daß der Rückgang des Deutschen ausschließlich aus die Kantone Bern, Neuenburg und Wallis fällt, und zwar kommen auf Bern allein 0,48 °/° (nach 8 0,47 °/°) Verlust, auf Neuenburg 0,09, auf das Wallis 0,02 °/° (nach 6 0,01 °/°), während in den Kantonen Genf, Waat und Freiburg eine Zunahme von zusammen 0,14 °/° (nach 8 0,1 °/°) stattfand. Die beiden Kantone Bern und Neuenburg zeigen, neben der stärksten Abnahme des Deutschen, umgekehrt die stärkste Zunahme des Französischen, je mit 0,15 bis 0,16 °/°, während Waat nur 0,03, Genf 0,02 bis 0,03°/» gewinnt, Wallis sogar einen Rückgang von 0,01 bis 0,02 °/° ausweist und Freiburg sich gleich bleibt oder 0,01 °/° gewinnt. Wir beendigen diese Analyse, indem wir das deutsche Sprachgebiet in den drei Kantonen Bern, Freiburg und Wallis vom Französischen trennen. Deutsch-Bern zählte nach ^ (mit den vier Gemeinden Schelten, Seehof, Ederswyler, Roggenburg nach 8): 1880 Deutsche 431,339 (15,15 °/°) Franzosen 6,689 ( 0,23 °/°) Nach 8: Deutsche 481,339 (15,15 °/°) Franzosen 6,689 ( 0,23 °/°) 1888 Differenz 431,227 (14,70 °/°) — 0,45 °/g 9,279 ( 0,31 °/°) -s- 0,08 °/° 429,256 (14,71 °/°) — 0,44 °/° 9,135 ( 0,31 °/°) -s- 0,08 °/° Französisch-Bern zählte nach 4^ 1880 Deutsche 20,700 (0,73 °/°) Franzosen 71,951 (2,53°/°) Nach 8: Deutsche 20,700 (0,73 °/°) Franzosen 71,951 (2,53 °/°) (mit der Gemeinde Leubringen nach 6): 1888 Differenz 20,700 (0,7 °/g) — 0,03 »/» 76,256 (2,6 °/°) -s- 0,07 °/° 20,412 (0,7 °/°) — 0,03°/» 76,184 (2,61 °/°) -s- 0,08 °/° Von den 0,47 bis 0,48 °/°, welche das Deutsche im Kanton Bern von 1880 bis 1888 verloren hat, fallen 0,44 bis 0,45°/° auf den deutschen Landesteil, nur 0,03 °/° auf den welschen. Das Französische hat sowohl auf deutschem als auf welschem Gebiet je 0,07 bis 0,08 °/° gewonnen. — 9 — Freiburg kann nur nach 8 berechnet werden, weil für die einzelnen Gemeinden die Angaben nach ^ fehlen. Französisch-Freiburg zählte: 1880 Deutsche 9,052 (0,32 °/o) Franzosen 77,762 (2,73 °/o) Deutsch-Frciburg zählte: Deutsche 26,653 (0,93 °/o) Franzosen 1,554 (0,05 o/o) 1888 Differenz 9,770 (0,33 o/o) -s- 79,842 (2,73 °/o) 27,664 (0,95 °/°) -s- 1,493 (0,05 o/°) 0,01 o/o 0,00 «/» 0,02 o/o 0,00 o/o Das Deutsche gewann also in Deutsch-Freiburg 0,02, in Französisch-Freiburg 0,01 o/o, zusammen 0,03 °/°; das Französische ist sich in beiden Landesteilen relativ beinahe gleichgeblieben. Noch bleiben die zwei Sprachgebiete des Wallis zu scheiden. Dcutsch-Wallis zählte nach 1880 1888 Deutsche 29,046 (1,02 °,/,) Franzosen 944 (0,03 °/o) Nach 8 : Deutsche 29,046 (1,02 °/°) Franzosen 944 (0,03 °/o) 29,346 (1,00°/°) 696 (0,02 °/°) 29,505 (1,01 °/o) 700 (0,02 °/o) Differenz — 0,02 °/° — 0,01 °/o — 0,01 ° /° — 0,01 ° /° Französisch-Wallis zählte nach (mit Stadt Siders nach 8): 1880 1888 Deutsche 2,916 (0,1 °/°) Franzosen 66,270 (2,33 °/o) Nach 8 : Deutsche 2,916 (0,1 °/°) Franzosen 66,270 (2,33 °/o) 2,953 (0,01 °/o) 67,982 (2,32 °/o) 2,966 (0,1 °/o) 67,982 (2,33 °/o) Differenz 0,00 °/o - 0,01 °/° 0,00 ° /° 0,00 °/o Im Wallis also, wie im Freiburgischen, ist die beidseitige Sprachbewegung, im französischen wie im deutschen Gebiet, von geringer Tragweite, und die einzige markante Tatsache, die aus der letzten Analyse hervorgeht, ist die erstaunliche Einbuße, welche das Deutsche in Deutsch-Bern erleidet. Hätte die deutsche Bevölkerung desselben sich im Verhältnis zur schweizerischen gleichmäßig vermehrt, so müßte sie im Jahr 1888 nicht 451,927, sondern 466,008 Köpfe zählen, 14,073 mehr als wirklich der Fall ist. III. Woher nun dieser auffallende Verlust? An der Prozentzahl der Geburten kann es nicht liegen; die des Kantons Bern ist die höchste in der Schweiz. Also muß es die Auswanderung sein. In der Tat ist sie außerordentlich stark. Die Zahl der im Kanton Bern Geborenen, aber nach der übrigen Schweiz Ausgewanderten betrug im Jahre 1888: 43,103; davon kamen auf die deutschen Bezirke 41,743. Von 1880 auf 1888 überwiegt die Auswanderung über die 10 Einwanderung um 39,996 Köpfe, davon kommen auf die deutschen Bezirke 36,619. In den übrigen Kantonen der Schweiz wohnten im Jahre 1888 112,209 Bcrner; davon mehr als die Hälfte, 59,754, in den Kantonen Ncuenburg, Waat und Genf und 9946 im Freiburgischen. In den sechs französischen Bezirken des Kantons wohnen 24,012 „sonstige Kantonsbürger", offenbar zumeist Einwanderer aus deutschen Bezirken. Die Auswanderung also aus dem Kanton Bern, vorzugsweise in die französische Schweiz ist es, welche den Zuwachs der deutschen Bevölkerung desselben mehr als aufwiegt. Man sollte nun glauben, daß infolge dieser massenhaften Einwanderung die Zahl der Deutschsprechenden in der französischen Schweiz sich rasch vermehren müßte. Das ist aber keineswegs der Fall. Wir schließen hieraus, daß ein bedeutender Bruchteil der deutschen Einwanderung immer vorweg wieder romani- fiert wird. Die tägliche Beobachtung bestätigt das; es läßt sich aber auch zahlenmäßig nachweisen. Im Jahre 1888 wohnen in den drei Kantonen Genf, Waat und Neuenburg 58,769 Deutsche, darunter 12,131 Reichsdeutsche und 662 Oesterreicher. Diese in Abzug gebracht, verbleiben 46,638 deutschsprechende Deutschschweizer. In denselben Kantonen wohnen aber 82,384 in der deutschen Schweiz Heimat- berechtigte (wobei alle Berner und die Hälfte der Graubündner als Deutschsprechende, dagegen alle Freiburger und Walliser als Französischsprechende angenommen sind). Da nun unter diesen 82,384 nur 46,638 Deutschsprechende sich befinden, so muß der Rest, in der Zahl von 35,746 romanisiert worden sein. Es kommen somit etwa 23 deutschsprechende Deutschschweizer auf 41 in der deutschen Schweiz Heimatberechtigte. Nehmen wir an, dasselbe Verhältnis wiederhole sich in Französisch-Bern, -Freiburg und -Wallis, so ergibt sich für diese drei Landesteile folgende Rechnung. Sie zählen zusammen: 33,148 Deutschsprechende, > davon abgezogen 2,747 Reichsdeutsche und Oesterreicher, verbleiben 30,401 deutschsprechende Deutschschweizer. Nach dem Verhältnis von 23 : 41 läßt diese Zahl schließen auf 54,193 Heimatberechtigte und 23,792 Romanisierte. Die gesamte französische Schweiz zählte also im Jahre 1888 annähernd 59,920 romanisierte Deutschschweizer. Machen wir dieselbe Rechnung für das Jahr 1880, so wird sich ergeben, um wieviel die Zahl der romanisierten Deutschschweizer von 1880 auf 1888 gestiegen ist. Die drei Kantone Genf, Waat, Neuenburg zählten im Jahre 1880 57,681 Deutschsprechende, davon abgezogen 11,266 Reichsdeutsche und Oesterreicher, verbleiben 46,415 deutschsprechende Deutschschweizer. 11 Dieselben Kantone zählten im Jahre 1880 73,507 in der deutschen Schweiz Heimatberechtigte. Bringen wir davon die Deutschsprechenden in Abzug, so bleiben uns .... 27,092 Romanisierte. Im Jahre 1888 waren es 35,746 Um 8,654 Köpfe also ist in diesen drei Kantonen, von 1880—1888, die Zahl der Romanisierten gestiegen. Das Verhältnis der deutschsprechenden Deutschschweizer in diesen drei Kantonen zu den in der deutschen Schweiz Heimatberechtigten war im Jahr 1880 46:73. Nehmen wir an, dasselbe Verhältnis sei übertragbar auf Französisch-Bern, -Freiburg und -Wallis, so resultiert folgendes: Diese drei Landesteile zählen im Jahr 1880 32,668 Deutschsprechende, davon abgezogen . . . 2,372 Reichsdeutsche und Oesterreichs, verbleiben. 30,296 deutschsprechende Deutschschweizer. Diese Zahl steht im Verhältnis von 46:73 mit 48,076 in der deutschen Schweiz Heimatberechtigten; davon abgezogen . . . 30,296 deutschsprechende Deutschschweizer, verbleiben. 17,780 Romanisierte. Im Jahre 1888 waren es 23,792 Die Zunahme beträgt . 6,012 von 1880 auf 1888. Dazu kommen .... 8,654 aus Genf, Waat, Neuenburg. Zusammen 14,666 Romanisierte mehr im Jahre 1888 als im Jahre 1880. Rechnen wir noch die mittlere Sterblichkeitsziffer von 20 auf 1000 hinzu, so macht das auf 76,711 deutschsprechende Deutschschweizer in acht Jahren 12,273 Verstorbene, die durch Neuhinzugekommene ersetzt worden sind. Im ganzen berechnen sich also die während acht Jahren, von 1880 bis 1888, romanisierten Deutschschweizer auf ungefähr 27,000. IV. Die Frage liegt nahe, ob nicht auch umgekehrt die in der deutschen Schweiz in Diaspora lebenden Französisch-Schweizer der Germanisierung verfallen. Allgemein wird behauptet: Nein, der Franzose erlerne das Deutsche nur selten und germanisiere sich nur notgedrungen. Versuchen wir auch hier den Erfahrungssatz an den Zahlen zu prüfen. Im Jahre 1880 zählte die deutsche Schweiz (ohne Französisch-Bern, -Freiburg und -Wallis): 6488 Französisch-Sprechende, darunter 4629 Nationalfranzoscn und 1859 französischsprechende Schweizer. 12 Gleichzeitig wohnten in der deutschen Schweiz 3027 in der französischen Schweiz Heimatberechtigte (wobei alle Berncr als Deutschsprechende, dagegen alle Freiburgcr und Walliser als Französischsprechende angenommen sind). Bringen wir von diesen in der französischen Schweiz Heimatberechtigten die Französischsprechenden in Abzug, so verbleiben uns 1168 Germanisierte. Wir wiederholen dieselbe Rechnung für das Jahr 1888. Die deutsche Schweiz zählte 7821 Französischsprechcnde, darunter . . 4431 Nationalfranzosen und . . . 3390 französischsprechende Schweizer, gleichzeitig . 3820 in der französischen Schweiz Heimatberechtigte. Von diesen die Französischsprechcnden in Abzug gebracht, verbleiben 430 Germanisierte. Im Jahre 1880 kamen in der deutschen Schweiz auf 9 französischsprechende Schweizer 15 in der französischen Schweiz Heimatberechtigte; im Jahre 1888 waren es 33 auf 38. Nehmen wir an, das gleiche Verhältnis für die beiden Zähljahre sei anwendbar auch aus Deutsch-Bern, -Freiburg und -Wallis, so ergibt sich für diese Landesteile folgende Berechnung. Im Jahre 1880 zählte Deutsch-Bern 6689 Französischsprechende Deutsch-Freiburg 1554 „ Deutsch-Wallis 944 „ Zusammen 9187 „ Darunter 1478 Nationalfranzosen. Verbleiben 7709 französischsprechende Schweizer. Diese Zahl steht im Verhältnis von 9:15 mit 12,848 in der französischen Schweiz Heimatberechtigten. Davon abgezogen 7,709 französischsprechende Schweizer, verbleiben . . 5,193 Germanisierte. Im Jahre 1888 zählte Deutsch-Bern (nach 8): 9,135 Französischsprcchende, Deutsch-Freiburg 1,493 „ Deutsch-Wallis 700 Zusammen 11,328 ' „ Darunter 1,389 Nationalfranzoseu. Verbleiben 9,939 französischsprechende Schweizer. Diese Zahl steht im Verhältnis von 33 : 38 mit 11,445 in der französischen Schweiz Heimatberechtigten. Davon abgezogen 9,939 französischsprechende Schweizer, verbleiben . . 1,506 Germansierte. ' Die Gesamtzahl der Französischsprechenden in der deutschen Schweiz im Jahre 1888 betrug also 19,149, statt 22,552, wie Herr Dr. Zemmrich S. 401 irrtümlich angibt. 13 Dreierlei Punkte sind hier hervorzuheben: zunächst die geringe Anzahl französischsprcchender Schweizer, welche in der deutschen Schweiz (ohne Deutsch- Bern, -Freiburg, -Walles) zerstreut wohnen; dann die auffallende Abnahme der Zahl der Germanisierten von 1880 auf 1888; endlich die starke Vermehrung der Französischsprechenden (von 6,689 auf 9,135) in Deutsch-Bern, wovon allein auf Viel 2403 kommen. V. Das Ueberwiegen des Französischen in der Sprachbewcgung entspringt also wesentlich dem Prozeß der Romanisierung der in welsches Gebiet auswandernden Deutschschweizer. Die Gründe der Romanisierung sind mehrfache. Der Nächstliegende betrifft die Art der Einwanderung. Sie zerstreut sich, wie Zemmrich ausführlich nachweist, fast auf das ganze Gebiet der französischen Schweiz, auf 939 Gemeinden; nur in 68 Gemeinden ist sie nicht vertreten. Hingegen ist die Dichtigkeit derselben eine sehr verschiedene. Fast die Hälfte entfällt auf das Juragcbiet von Neuenburg und Französisch-Bern: hier kommen 42,992 Deutsche aus 205,425 Einwohner. Weitere 33,649 Deutsche entfallen auf das Waat- land und Französisch-Freiburg mit einer Bevölkerung von 337,956 Seelen. Im Kanton Genf leben 12,317 Deutsche bei einer Einwohnerzahl von 105,509. In Französisch-Waüis endlich finden sich unter 71,529 Einwohnern nur 2966 Deutsche, und davon 2273 allein in den zwei Ortschaften Sitten und Bremis. Wirtschaftliche Ursachen sind hier vorwiegend wirksam. Im Berner Jura und im Neuenburgischcn verbreiten sich die Einwanderer scharenweise nach allen Seiten, teils in größere industrielle Ortschaften (auf Gemeinden mit mehr als 2000 Einwohnern entfallen 43 cho der Bevölkerung, aber 50 o/» der Deutschen), teils auf einzelne abgelegene Höfe, die meist pachtweise von Deutschbcrnern übernommen sind, während die einheimische Bevölkerung sich der Industrie zuwandte. Nur in den abgelegensten Teilen des Pruntrut an der französischen Grenze sind die Deutschen gering an Zahl und fehlen in 5 Gemeinden ganz. Anders liegen die Verhältnisse bei der vorwiegend Landwirtschaft treibenden Bevölkerung der Frciburger und Waatländer Hochebene. Im Freiburgischen finden sich noch 32, im Waatland 7 Orte ohne Deutsche. Mit Ausnahme der in unmittelbarer Nähe der Sprachgrenze gelegenen Dörfer wenden sich hier die Deutschen, meist in dienstlicher Stellung, vorzugsweise den Städten zu. Die 4 größten Ortschaften dieses Gebiets, Freiburg, Losanen, Vivis und Le ChLte- lard, zählen unter 59,930 Einwohnern 13,353 Deutsche, fast chi» der Gesamtzahl der Deutschen dieses Gebiets, während die Einwohner jener Städte noch nicht 2/i» der Gesamtzahl ausmachen. Im Kanton Genf begreifen die Stadt und ihre Vorstädte 77 ° » der Gesamt- bevölkerung in sich, aber 91"/» der Deutschredenden des Kantons. Uebrigens sind in den Kantonen Genf und Neuenburg die Deutschen in allen Gemeinden vertreten. In Französisch-Wallis bildeten Sitten und Bremis früher deutsche Enklaven, die aber jetzt nur noch eine Minderheit von Deutschen beherbergen, nämlich 14 « 2273 Deutsche auf 6099 Einwohner. Weitere 273 Deutsche wohnen in dem Bezirk Monthey am Genfer See. .Für das übrige Gebiet bleiben nur 421 Deutsche, die sich auf die größern Orte des Rhonetals verteilen. Im Durchschnitt machen die Deutschen 12,8 °/a aus der Gcsamtbevölkcrung der französischen Schweiz. Dieser Durchschnittszahl kommt am nächsten Genf mit 11,7 °/». Ueber derselben steht das Juragebiet Bern-Neuenburg mit 21 °/», Waat und Französisch- Freiburg stehen darunter mit 10 und Französisch-Wallis mit 4°/». Am stärksten von den Deutschen durchsetzt ist das Flußgebiet der Birs. Die Bezirke Delsberg und Münster haben 22,9 und 37,2 °/» Deutsche und an der Bahnlinie Basel-Viel haben alle Gemeinden ausnahmslos über 30"/». Die Hauptorte Delsberg und Münster haben 43 und 44,6"/», noch 9 andere Gemeinden haben 40—50°/» und 5 Ortschaften (Chütelat, Monible, Eschert, Perrefitte und Nennendorf) haben über 50°/». Auch der Bezirk Courtelary hat 28,4"/« im Durchschnitt. Zwei Gemeinden, Mont-Tramelan und Psry, deutsch Büdcrich, haben deutsche Majorität. Dieses ist seit 1888 auch der Fall in Leubringen, Bezirk Viel. Im Bezirk Neuveville zählt der Hauptort 35,7 °/», die übrigen Gemeinden noch nicht 20 °/». Pruntrut und Freibergen haben zumeist noch unter 5°/». Der östliche Teil des Kantons Neuenburg, die Bezirke Neuenburg, Val de Ruz und Chaux - de - Fonds, zeigt ähnliche Verhältnisse wie der vordere Berner Jura. Durchschnittlich und überall ziemlich gleichmäßig zählen die Deutschen 26,3°/»; in der Gemeinde Thielle-Wavre bilden sie die Majorität. Im Westen des Kantons hat die Mehrzahl der Gemeinden nur 10—20°/» Deutsche. In den südwestlich vom Neuenburger- und Murtener See zunächst der Sprachgrenze gelegenen Bezirken Avenches, Französisch-See- und Saanebezirk treffen wir wieder durchschnittlich 22,7°/» Deutsche, also annähernd denselben Prozentsatz wie im vordcrn Berner Jura und im östlichen Teil des Kantons Ncuenburg. Hingegen ist die Verteilung hier sehr ungleichmäßig. Unter den 91 Ortschaften dieses Gebiets zählen 2 gar keine, 19 nur 0—5 °/» Deutsche, 17 von 5—10, 25 von 10—20, 13 von 20—30, 7 von 30—40, 5 von 40—50, 2 endlich (Meyriez und Pierrafortscha) mehr als 50°/». Freiburg selbst hat deren 37. In den südlich von den Seen gelegenen Bezirken Broye, Peterlingen, Jferten und Grandson ist das deutsche Element schon bedeutend schwächer als im jurassischen und Freiburger Grenzgebiet; sie zählen im Durchschnitt nur 7,8°/» Deutsche, einige größere Ortschaften über 10, 5 kleinere Orte um Jferten sogar über 20, Ste. Croix auf der Höhe des Jura nur 4,9°/». Am schwächsten ist das Deutsche vertreten in dem Teil der Hochebene zwischen den Uferlandschaftcn des Neuenburger- und denjenigen des Genfer Sees. Es ist ein ausgesprochenes Ackerbaugebiet. Im Durchschnitt erreicht hier das deutsche Element nur 4,5°/», im Jouxtal sogar nur 2,4°/», in keiner Ortschaft übersteigt es 20°/». 15 — Längs des Genfer Sees erscheinen etwas höhere Ziffern, im Durchschnitt annähernd 7°/», an den Abhängen des Jura nur 5; hingegen die größern Orte haben Morsee 13,3, Neuß 11,1, Losanen 17,1°/». Im Kanton Genf zählt die Stadt selbst ohne die Vororte 15,6°/» neben 80,1 °/o Franzosen. Die Landgemeinden in der Mehrzahl stehen noch unter 5 °/o. Die dichteste deutsche Bevölkerung im Kanton Waat hat der Bezirk Vivis mit durchschnittlich 18,9°/». Vivis selbst hat 21,5, Le ChLtelard 22, Les Manches sogar 29,1°/» deutsche Wohnbevölkerung; die ortsanwesende stellt sich noch höher. Der ans Wallis angrenzende Bezirk Aelen zählt im Durchschnitt 8,7 «/«. Das Waatländer Oberland steigt auf 9,8°/», die Freiburger Alpcnbezirke Gruysre und Veveyse (Greierz und Vivisbach) sinken auf 2,8; Bulle, deutsch Voll, hat 10,8°/». Im Wallis behalten die frühern deutschen Enklaven Bremis und Sitten noch 45 und 36,3°/» Deutsche; außerdem haben noch 4 Dörfer zwischen Sitten und Siders und der Ort Monthey gegenüber von Bex über 5°/». Von der Darstellung der heutigen Zahlenverhältnisse der deutschen Bevölkerung in der französischen Schweiz geht Herr Zemmrich über auf die Bewegung dieser Verhältnisse von 1860 bis 1888. Er beginnt wieder mit dem Berner Jura. Für das deutsche Element desselben ergeben sich folgende Prozentzahlen der lokalen Gcsamtbevölkerung: 186« 1870 1880 1888 13,42°/» 14,43«/» 22,2°/» 20,98°/« Zemmrich bemerkt zu diesen Zahlen: „Der Anteil der Deutschen ist seit 1860 überall (nämlich in den einzelnen Gemeinden des Berner Jura) gestiegen." Dagegen ist zu bemerken, daß von 1880 auf 1888 nicht ein Steigen, sondern ein Rückgang konstatiert ist, und daß aus früher angeführten Gründen es zweifelhaft bleibt, ob die betreffenden Zahlen von 1870 auf 1880 ein Steigen oder ein Fallen bedeuten. Das einzige sichere Resultat dieser Dctailuntersuchung besteht darin, daß der Rückgang des Prozentsatzes der Deutschen im Berner Jura wesentlich die Grenzbezirke Neuenstadt, Courtelary und Münster betrifft und zwar außer den großen Ortschaften Münster, St. Immer, Sonvillier und Neuenstadt auch eine Anzahl kleinerer wie ChLtelat, Monible, Souboz, Court, Corgemont, Renan u. s. w. Ganz dasselbe Verhalten kehrt wieder im Neuenburgischen: auch hier zeigt die Zahlenreihe einen anscheinenden Fortschritt von 1860 bis 1880. Von 1880 auf 1888 haben wir entschiedenen Rückgang: die 23,6°/» der ortsanwesenden deutschen Bevölkerung sinken auf 20,87 °/o der Wohnbevölkerung (20,89 °/» der Ortsanwesenden). In Französisch-Freiburg, Waat und Genf beobachtet man ein mäßiges Steigen von 1880 auf 1888 (10,4; 9,08; 11,32 auf 10,83; 9,64; 11,67°/»). Die Stadt Freiburg zeigt seit 1880 einen kleinen Rückgang. 16 In den Bezirken Milden und Tscherlitz hat sich der Prozentsatz der'Deutschen seit 1880 von 4,2 und 2,4 aus 7 und 3,3 o/o gehoben, in Luccns von 12,3 auf 18,4, in Losanen von 16,9 auf 17,1; in Morsee und Neuß hingegen ist er merklich gefallen. In Genf fiel er von 1860 auf 1870 um 0,40/0, von 1880 bis 1888 blieb er sich ziemlich gleich; der gewaltige Sprung von 5,4 auf 15,8 in der Periode 1870 bis 1880 ist wesentlich auf Rechnung der verschiedenen Zählmethode zu setzen. — Wallis hat von 1880 bis 1888 0,03 0/0 verloren. Zemmrich schließt diesen Abschnitt mit den Worten: „Die ganze französische Schweiz in der von uns gezogenen Umgrenzung hatte 1860: 5,7 0/0, 1870: 6,70/0 deutsche Haushaltungen; 1880 entfielen von den Ortsanwesenden 13 0/, aus die Deutschen, 1888 von der Wohnbevölkerung 12,8 o/g. Im ganzen hat demnach das deutsche Element seit 1860 unverkennbare Fortschritte gemacht, im letzten Jahrzehnt sich durchschnittlich in gleichem Maß wie die Bevölkerung vermehrt. Die genannten Zahlen sind annähernd richtig, genau sind folgende: 1860 1870 1880 1888 5,8 0/0 6,73°/» 13,01°/» 12,65«/» und in Prozentzahlen der schweizerischen Gefamtbevölkerung: 1,43°/» 1,71°/» 3,17«/» 3,11°/» Die Schlüsse hingegen, welche Herr Zemmrich aus diesen Zahlen zieht, treffen nicht zu: das letzte Jahrzehnt läßt auch hier einen etwelchen Rückgang des Deutschen erkennen; der Sprung von 1870 auf 1880 ist durch keine Berechnung zu überbrücken; nicht einmal der Fortschritt von 1860 auf 1870 ist unzweifelhaft. Endlich wolle man nicht vergessen, daß alle diese Zahlen nur eine einzelne Phase jener Sprachbewegung bezeichnen und daß der vermeintliche geringe Fortschritt des Deutschen im französischen Gebiet erkauft ist durch einen ganz unzweifelhaften sehr bedeutenden Verlust auf seinem eigenen Boden. VI. Bemißt sich der Rückgang des Deutschen, der Fortschritt des Französischen cndgiltig nach der Prozeutzahl der sämtlichen Sprachgenossen auf deutschem wie auf französischem Gebiet, so macht er sich doch zumeist bemerklich in den längs der Sprachgrenze gelegenen Landcsteilen, voraus den größeren Ortschaften, und bewirkt schließlich eine Verschiebung der Sprachgrenze selbst, auf die wir jetzt zu sprechen kommen. Vorerst verständigen wir uns über den Begriff des Wortes. Herr Zemmrich versteht unter französischer Schweiz dasjenige Gebiet, welches von sämtlichen Gemeinden gebildet wird, die zur Zeit der Aufnahme der Sprachenstatistik im Jahre 1860 eine überwiegend französische Bevölkerung hatten. Dieses Gebiet umfaßt die Kantone Waat, Genf und Neucnburg, vom Kanton Bern die Bezirke Ncuenstadt, Courtetary, Freibergen und Pruntrut vollständig, Delsberg mit Ausnahme der zwei Ortschaften Roggenburg und Ederschwiler, Münster mit Aus- 17 nähme von Schelten und Scehof, endlich vom Bezirk Viel die Gemeinde Leubringen (Evilard!. Vom Kanton Freiburg liegt nur der Sensebezirk ganz außerhalb des französischen Gebiets, der Seebezirk wird von der Sprachgrenze durchschnitten, alle übrigen Bezirke sind durchweg französisch mit Ausnahme der Gemeinde Jaun im Bezirke Greyerz. — Im Wallis bildet die Ostgrenze des Bezirks Sidcrs zugleich die Sprachgrenze; der Ort Sidcrs selbst gehört jedoch als einziger des Bezirks zum deutschen Gebiet. Zu diesen Grenzbestimmungen ist zweierlei zu bemerken. Erstens hat Herr Zemmrich selbst sie nicht genau eingehalten. So zählt er die Gemeinden Corgä- mont ini Berncr Jura, Merlach (Meyriez) bei Freiburg und Bremis bei Sitten zum französischen Gebiet, während dieselben im Jahre 1860 überwiegend deutsch waren. Herr Zemmrich begründet diese Ungenauigkeit betreffend Meyriez dannt, daß er sagt: „Dieser Ort dicht bei Murten ist nur durch das kleine Dorf Greng vom französischen Gebiet getrennt und hat bei den Zahlungen abwechselnd deutsche und französische Mehrheiten ergeben, und da dort außerdem die französische Sprache noch jetzt die Unterrichtssprache ist, so sei es dem ursprünglich französischen Gebiete zugerechnet." Diese Begründung selbst ist willkürlich genug, und wenn diese Willkür auch nur einige kleine Gemeinden betrifft, so bleibt sie doch nicht ohne merklichen Einfluß auf die allgemeine Sprachenstatistik; indem Ortschaften mit überwiegend deutscher Bevölkerung ins französische Sprachgebiet cinbezogen werden, erscheint die deutsche Bevölkerung dieses letzter» größer als sie wirklich ist und umgekehrt die Zahl der Franzosen im deutschen Gebiete kleiner. Eine weitere Unzulässigkeit in der Aufstellung von Herrn Zemmrich liegt darin, daß er die Sprachgrenze von 1860 als bis heute giltig und feststehend annimmt, während sich sofort zeigen wird, wie dieselbe sich in einem fort verändert. So überwiegt das Französische im Jahre 1870 allerdings in Corgömont und Meyriez, aber dieser Vorgang zu Ungunsten des Deutschen kommt bei Zemmrich nicht zur vollen Geltung, ebensowenig wie der entgegengesetzte, daß nämlich La Heulte im Berner Jura und Courtaman im Freiburgischen vorübergehend deutsche Mehrheit erhalten. In, Jahre 1880 hat CorgSmont wiederum eine schwache deutsche Mehrheit, La Heulte hat sie wieder verloren; hingegen erreichen sie neuerdings die Genieindcn des Berner Jura Mont-Tramelan, Büderich, Chütelat, Court, Eschert, Monible und Souboz; im Neuenburgischcn zeigen deutsche Mehrheiten Thielle und Wavre; im Kanton Freiburg ist Courtaman wieder zur französischen Mehrheit übergetreten, Meyriez zur deutschen. Die zahlreichsten Veränderungen zeigt das Jahr 1888. Leubringen im Bezirk Biel ist zum deutschen Gebiet übergetreten; Corgümont, Court und Souboz sind wieder französisch geworden; Berg - Tramlingcn, Büderich, ChLtelat, Eschert und Monible sind deutsch geblieben; Renncndors und Bessert sind deutsch geworden, ebenso nach Zimmerst die Annexe Reuchenette, Fridlinsschwanden und Magglingen. Für Cr6mine gibt Zimmerst nach den Originallisten die Zahlen 236 Deutsche und 237 Franzosen, die offizielle Statistik hingegen 224:240. Thielle-Wavre im Neucnburgischen ist deutsch geblieben; Brcmis bei Sitten erscheint erst jetzt französisch majorisiert. 2 18 Schon aus dieser Orts- und Zahlenstatistik ergibt sich, daß die Sprachgrenze in den zwei letzten Dezennien bedeutende Schwankungen erlitten hat. Die Ursachen dieser Schwankungen strebt Zimmerli zu ergründen, indem er sämtliche Grenzgebiete untersucht, nach Mundart und Herkunft der Einwohner, Orts-, Flur- und Geschlechtsnamen, Kirchen- und Schulsprache. Seine Untersuchungen * stellen fest, daß deutsche Einwanderung zwar weit ins romanische Gebiet hinein vordringt, dann aber schon in der zweiten Generation der Nomanisicrung erliegt, während das Französische (niemals das Patois) nur einzelne aber festgeschlossene Kolonieen über die Grenze vorschiebt, die aber, gestützt auf nationales Sprachgefühl und auf gute Schulen, nicht nur der Germanisierung erfolgreich widerstehen, sondern ihre germanische Umgebung sich allmählich assimilieren. So namentlich in Viel. Die Stadt zählte im Jahre 1860 neben 874 deutschen Haushaltungen 246 welsche; im Jahre 1870 1166 und 394; im Jahre 1880 Ortsauwesende 8949 und 2568, im Jahre 1888 eine Wohnbevölkerung von 10,505 und 4579. Im Jahre 1841, berichtet Zimmerli, wurden hier die ersten Uhrenfirmcn gegründet und seither hat die Einwohnerschaft rasch zugenommen, am meisten in den letzten 20 Jahren, während deren dieselbe von 8113 auf 15,500, beziehungsweise von 1560 auf 3125 Haushaltungen angewachsen ist. Hand in Hand mit dem wirtschaftlichen Aufschwung gieng eine ungemein lebhafte welsche Einwanderung vornehmlich von Uhrenarbeitern. Im Jahre 1870 war das welsche Element durch 394 Haushaltungen vertreten, am 31. Dezember 1888 gab es deren 925, was eine Zunahme von 137,3 °,o bedeutet; die Zahl der deutschen Haushaltungen stieg im gleichen Zeitraum von 1166 auf 2200, d. h. um 88,7 a/g. Die Sprachverhältnisse gestalten sich also hier wesentlich zu Ungunsten des Deutschen: an eine Absorption des welschen Elements ist nicht zu denken, da dieses, im Gegensatze zu den in analogen Verhältnissen befindlichen deutschen Ansiedlern im welschen Jura, durch einen starken Rückhalt guter öffentlicher Schulen gesichert ist." Um Viel herum liegen die Ortschaften Leubringcn, Bözingcn, Mctt und Madretsch. Mctt ist noch ganz deutsch. Madretsch zeigt ähnliche Verhältnisse wie Viel. Seit 1877 hat es eine französische Schule. Bözingcn zählt unter 2505 Einwohnern nur 183 welsche, erteilt aber französischen Unterricht vom 4. Schuljahr an. Ueber Anbringen, französisch Evilard, gehen die offiziellen Angaben und diejenigen von Herrn Zimmerli weit auseinander. Letzterer sagt (1891), der Ort zähle 73 Haushaltungen, wovon 29 deutsch sprechen; die französische Primärschule werde gegenwärtig von 173 Schülern besucht; davon sprachen 52 mit ihren Eltern deutsch. Die offizielle Statistik gibt folgende Zahlen: 1860:99 Haushaltungen, davon 44 deutsche; 1870: 97 Haushaltungen, davon 25 deutsche; * Die deutsch-französische Sprachgrenze in der Schweiz von Dr. I. Zimmerli. I. Teil: Die Sprachgrenze im Jura. Nebst einer Karte. Basel und Genf 1891. II. Teil: Die Sprachgrenze im Mittellande, in den Freiburger, Waatlander und Berner Alpen. Nebst 14 Lauttabellen und 2 Karten. Basel und Genf, H. Georg 1895. 19 1880: 511 Ortsanwesende, davon 234 deutsche; 1888: 449 Einwohner, davon 275 deutsche. Eine französische Kolonie besitzt ferner Grenchen mit 47 welschen Familien seit Einführung der Uhrenindustrie in den 40er Jahren. Eine frühere Verschiebung der Sprachgrenze zu Gunsten des Deutschen vermutet Zimmerst am linken Ufer des Bielersees. „Hier hat," sagt er „im Laufe der Zeit ein Germauisierungsprozeß stattgefunden, der in Bingelz anhob, über Tüscherz und Twann nach Ligerz vorschritt, wo er erst in diesem Jahrhundert zum Abschluß kam und der im Weiler Chavannes (deutsch Tschafis) noch heute vor unsern Augen vor sich geht." Von Twann aber führt er selbst Belege an, aus denen hervorgeht, daß der Ort schon im 13. Jahrhundert ganz oder teilweise deutsch war. Auch von Erlach lassen einzelne Flurnamen mit romanischem Gepräge vermuten, daß das welsche Element hier einst stärker vertreten war als heutzutage. Dasselbe gilt von Vinelz, Tschugg und Ins. Eine einläßliche Untersuchung über die frühere Sprachgrenze im Freiburgischen fehlte bisher durchaus. Der zweite Teil von Zimmerlis Arbeit füllt diese Lücke in ganz vorzüglicher Weise. Koller (im 18. Jahresheft des Vereins schweizerischer Gymnasiallehrer, Aarau 1886) sagt S. 10: „Bis zu den Burgunderkriegcn rückte das französische Element unter dem Schutze des Hauses Savoyen beständig gegen Osten vor. Nach dem Eintritt Freiburgs in die damals ganz deutsche Eidgenossenschaft (1481) wurde die deutsche Sprache von der Regierung in jeder Weise begünstigt und machte bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts wieder Fortschritte. Bon der französischen Revolution bis heute ist dagegen das Französische wieder in entschiedenem Fortgang." Durch Zimmerst werden diese Sätze genauer präzisiert und auf ein umfassendes Urkundenmatcrial gestützt. Wir entnehmen seinen Untersuchungen folgende Ergebnisse: Galmitz (französisch Charmey), in Murten kirchgenössig, zählt 85 Haushaltungen (398 Seelen) und ist vollständig deutsch. Aber die zu drei Vierteln romanischen Flurnamen, die durchaus romanischen Personennamen in Urkunden des 15. Jahrhunderts und die bis 1722 französische Gemeindeschule bestätigen die Dorftradition, daß hier das romanische Patois einst Volkssprache gewesen. Durch deutsche Einwanderung im 16. und 17. Jahrhundert scheint der Ort nach und nach germanisiert worden zu sein. Aehnlich verhält es sich mit Salvenach ( französisch Savagny), das vor 300 Jahren noch vorwiegend romanisch war, heute aber ganz deutsch ist. Die französische Gemeindeschule wurde 1683 durch den Rat von Bern aufgehoben und durch eine deutsche ersetzt. Auch bei Burg zeugen Personen- und Flurnamen für einstige romanische Seßhaftigkeit. Montelier war wohl einst ebenfalls ganz oder vorwiegend romanisch und wurde erst in bernischer Zeit deutsch. Durch Einführung der Uhrenmacherei wurde 1859 eine beträchtliche Einwanderung welscher Arbeiter aus dem Jura veranlaßt; 1888 kamen auf 119 deutsche 18 welsche Haushaltungen, beziehungsweise 564 deutsche auf 76 welsche Personen. Heute ist das welsche Element wieder im Rückgang begriffen. Ein Genrebild des freiburgischen Staatslcbens: 20 Der von der Regierung ernannte Gemeindepräsident kann nur französisch und aus diesem Grunde müssen die Protokolle des im übrigen vollständig deutschen Gemeiuderats vom Gemeindcschreiber, der beider Sprachen mächtig ist, französisch abgefaßt werden. — Ob wohl ein französischer Gemeinderat, den man mit einem deutschen Präsidenten und einem deutschen Protokoll beglückte, den Hohn mit derselben Lammesgeduld ertragen würde? Personen- und Flurnamen machen es wahrscheinlich, daß auch in Murten einst das Französische vorherrschte. Nach dem Vcrkommnis der Predigermönche von Losanen und von Bern vom Jahre 1273 gehörte Murten damals zum romanischen Gebiet. Die Bürgermeisterrechnungen sind französisch von 1439 bis 1480, sprachlich gemischt von 1480—1509, deutsch von 1509—1518, wieder französisch von 1518—1524 und von da an ausschließlich deutsch. Murten zählte im Jahre 1888 unter 502 Haushaltungen mit 2337 Seelen 77 welsche mit 448 Seelen, die alle im Laufe dieses Jahrhunderts eingewandert sind. Das altertümliche Städtchen bildet heute mit ein paar umliegenden Gemeinden eine deutsche Pfarrei, während es noch im Anfange des Jahrhunderts in eine deutsche und eine französische Gemeinde geschieden war. Im Jahr 1812 war die französische Gemeinde so zusammengeschmolzen, daß ihr Rest mit der benachbarten Pfarrei Merlach sich vereinigte. Die Schule ist heute deutsch; indessen sind schon in der 5. Primarklasse dem Französischen wöchentlich 3 Stunden eingeräumt. Im Jahre 1756 bestanden in Murten eine Lateinschule, eine deutsche Knaben- und eine deutsche Mädchenschule, eine französische Knaben- und eine französische Mädchenschule. Die französischen Schulen werden zuletzt erwähnt 1808. — Ueber Meyriez und Grenz nachher. Münchenwiler und Clava- leyres sind zwei Berner Enklaven, die ursprünglich deutsch waren und erst im vorigen Jahrhundert romanisiert worden sind. Barbcröche (deutsch Bärfischen) ist eine der zahlreichen Gemeinden an der Sprachgrenze, die in verhältnismäßig neuer Zeit ihren sprachlichen Charakter geändert haben. Der Ort zählt heute neben 40 welschen Haushaltungen (258 Personen) 26 deutsche (159 Personen). Dem Namen nach ursprünglich eine romanische Siedlung, scheint es im 15. Jahrhundert durchaus deutsch gewesen zu sein. Im Lause des 16. Jahrhunderts wurde es doppelsprachig. Die Protokolle des Kirchgemeindcrates waren ganz deutsch von 1553—1606, vorwiegend deutsch 1606—1830, ganz französisch seit 1830, in welchem Jahr ein neuer Pfarrer und ein neuer Lehrer ins Amt traten, die beide das Französische entschieden begünstigten. Die Schule war deutsch bis 1830, von da an bis 1860 doppelsprachig. Im Jahre 1860 wurde sie vollständig französisch, und seitdem ist die Bevölkerung, soweit sie stabil, sozusagen gänzlich sranzösisiert. Auch in Courtaman ist das deutsche Uebcrgewicht (16 Haushaltungen mit 61 Personen neben 15 welschen Haushaltungen mit 73 Personen) bedroht. Noch verhandelt und urkundet der Gemeinderat deutsch. Früher war die Gemeinde in Bärsischen kirchen- und schulgenössig, jetzt besuchen die katholischen Kinder die französische Schule in Courtepin, die Protestanten beschicken die dortige deutsche Freischule. 21 Der angrenzende Bezirk Aveuch es, Kanton Waat, zählte im Jahre 1888 im ganzen 1194 Haushaltungen mit 5305 Seelen, darunter 185 deutsche mit 1173 Seelen. Es ergibt sich also das auffallende Verhältnis, daß von 100 Personen 22, von 100 Haushaltungen nur 15,5 deutsch sind. Uebrigens hat von 1880 auf 1888 die welsche Bevölkerung um 105 Personen ab-, die deutsche um 143 Personen zugenommen. Im Sensebezirk ist Bösingen ganz, Düdingen fast ganz deutsch. Die Welschen schicken ihre Kinder in die französische Schule in Freiburg. In St. Ursen ist die französische Kolonie wieder im Schwinden begriffen. Die im Jahre 1875 errichtete französische Primärschule wurde 1889 wieder aufgehoben. Tafers zählt unter 153 Haushaltungen mit 909 Personen 5 welsche Familien. Pfarrer und Kaplan sind aber von Haus aus französisch. Koller redet auch von einer französischen Schule. Zimmerli erwähnt nur ein Mädchenpensionat, das meist von Schülerinnen aus der französischen Schweiz besucht wird. Höchst unerfreulich für das Deutsche, aber wertvoll für die Geschichte sind die in letzter Zeit veröffentlichten Mitteilungen über den Saanebczirk und speziell über die Stadt Freiburg selbst. Zuerst ist hier zu nennen die Schrift von Herrn Archivar Schneuwli und Herrn Pros. Vo. Büchi „Die deutsche Scelsorge in der Stadt Freiburg, 1893." Weitere Ergänzungen und Berichtigungen gibt Herr Büchi in den „Freiburger Geschichtsblättcrn. 1894." Und in umfassender Weise hat Herr Zimmerli S. 72 ff. alles zusammengestellt, was über die Geschichte der Sprachverhältnisse von Freiburg uns überliefert ist. „Als festes Vorwerk," sagt Zimmerli, „gegen den störrischen burgundischen Adel hat der Zähringerherzog Berchtold I V. ums Jahr 1170 auf hochragender, von der Saane umfluteter Landzunge die Stadt Freiburg gegründet und sie mit Freiheiten und Privilegien ausgestattet, welche ihre Entwicklung in hohem Maße begünstigten. Jbre Lage an einem Flusse, der in dieser Gegend schon damals romanisches und deutsches Volk voneinander schied, brachte es mit sich, daß die neue Gründung sehr früh ihres ursprünglich rein deutschen Charakters verloren gieng." Schon 1301 erscheint das deutsche Element nur noch herrschend in der Unterstadt, während das Burg- und das Spitalquartier überwiegend französisch sind. Die erste nicht lateinische Ratsurkunde, von 1319, ist französisch abgefaßt. Die Ratsprotokolle seit der Mitte des 14. Jahrhunderts sind mit wenigen Ausnahmen französisch. Seit 1435 kommen auch deutsche Ratsbeschlüsse vor. Durch Aufnahme der Stadt in die Eidgenossenschaft (1481) gewinnt das Deutsche die Oberhand derart, daß es als offizielle Sprache ausschließlich in Staat, Kirche und Schule verwendet wird. „Drei Jahrhunderte hindurch," sagt Zimmerli, „hatte das Deutsche in Freiburg seine Suprematie als Sprache des öffentlichen Lebens behauptet, als von Westen her der Sturm der Revolution über die Schweiz hereinbrach und auf den Trümmern der alten Eidgenossenschaft mit Hilfe französischer Waffen und nach französischem Vorbild die helvetische Einheitsrepublik errichtet wurde. Die staatsrechtliche Umwälzung aus eidgenössischem Boden machte aus dem durch Zahl und Wohlhabenheit der Bevölkerung schwer ins Gewicht fallenden beimischen Untcr- tanenland Waat ein vollberechtigtes Bundesglicd und erhob so das Französische 22 zur zweiten Nationalsprache. In Freiburg hatte die Bewegung den Sturz des Patrizierregiments und gleichzeitig die vollständige Verdrängung des Deutschen aus offiziellen Regionen zur Folge. Die Hclvetik (1798—1803) und die Herrschaft der Mediationsakte (1803—1814) waren eine wesentlich französische Periode. Die Restauration von 1814 brachte mit der vorrevolutionären Verfassung auch die deutsche Amtssprache zurück. Der Verquickung sprachlicher Interessen und parteipolitischer Fragen ist es zuzuschreiben, daß die konstituierende Versammlung im Jahre 1830 dem Französischen nicht nur faktisch wieder den Vorzug gab, sondern dasselbe in einem besondern Verfassungsartikel ausdrücklich als Staatssprache erklärte. Der Artikel ist seither wieder aus der Verfassung verschwunden. Das Deutsche wird aus kantonalem Boden als zweite Amtssprache anerkannt, ist aber zur Stunde noch von der städtischen Berwaltungssphäre gänzlich ausgeschlossen. Das Auquarticr hat sein altes vorherrschend deuisches Gepräge behalten, ist aber nicht mehr das gewerbliche Centrum von Freiburg wie vor 500 Jahren. Seine blühenden Judustrieen und sein Wohlstand sind im Laufe der Zeit verschwunden und durch die Eisenbahn und die große Hängebrücke, die es von den Hauptverkehrswegen abschneiden, ist es wirtschaftlich vollends lahmgelegt worden. Dutzendweise finden sich in der Ober- und Neustadt die Kaufläden und Wirtschaften, deren Inhaber sich auch nicht einmal über die alltäglichsten Dinge aus deutsch auszusprechen vermögen. Der Franzose nimmt eben als durchaus selbstverständlich an, daß der deutsche Nachbar sprachlich sich ihm unterordne und anpasse, und diese Voraussetzung findet er in neunundneunzig von hundert Fällen durch die Erfahrung gerechtfertigt. Wie weit die sprachliche Abdikation und Charakterlosigkeit gerade hier in Freiburg gehen kann, erhellt am besten aus der Tatsache, daß manche verhältnismäßig neu eingewanderte Deutsche sich nicht damit begnügen, ihre Kinder in die französischen Schulen zu schicken, sondern mit denselben auch in der Familie nur in gebrochenem Französisch verkehren." „Die französischen Klassen der städtischen Primärschulen waren im Sommer 1894 von 888 Schülern besucht, während die deutschen Klassen 286 und die deutsche protestantische Frcischule 318 Schüler zählten. Letztere besteht seit 1836. Die Unterhaltungskosten (etwa 12,000 Fr. jährlich) werden zum größten Teil vorn protestantisch-kirchlichen Hilfsverein und durch die Steuern der protestantischen Bevölkerung bestrittcn. Dazu kommen Beiträge des Staates und der Stadtgemeinde. — Die französischen Klassen des Kollegiums St. Michael (Vorbereitungskurs, Realschule, französische Gymnasialabteilung und die zwei Klassen Lyceum) zählten 219, die 6 deutschen Gymnasialklassen 62 Schüler. Die seit 1869 bestehende Universität hingegen ist wesentlich deutsch." „Das deutsche Predigtamt Freibnrgs findet sich in neuerer Zeit sehr bedrängt. Die Stiftskirche von St. Niklaus, von deren Kanzel Jahrhunderte lang die deutsche Rede erklungen hatte, wurde im Jahre 1872 infolge eines Vertrages zwischen dem Staatsrate und der bischöflichen Kurie den Deutschen entzogen, und es ist abzuwarten, ob es dem zu diesem Zwecke neugegründeten deutschen katholischen Männerverein gelingen wird, den verlorenen Posten wieder zurückzuerobern. In den übrigen Kirchen Freiburgs wird der Doppelsprachigkeit der Bevölkerung 23 in mehr oder weniger adäquater Weise Rechnung getragen, wenn auch der Klerus mit Ausnahme der Minoriten überall französisch ist." „Die Deutschen haben weder im Gemeinderat noch in der Schulkommission einen Vertreter. Angesichts dieser Tatsache wird man sich nicht darüber wundern, daß die Behörde bis in die jüngste Zeit an den deutschen Primärschulen nur französische Bücher als Prämien verteilen ließ, und daß die Regierung diese Schulen im Herbst 1894 vom deutschen Schulkreise (Seusebczirk) lostrennte und dem Inspektor der französischen Stadtschulen unterordnete, der nicht deutsch kann." Die Verluste des Deutschen erstrecken sich, außerhalb Freiburg, auf eine Reihe von Ortschaften am rechten Ufer der Saaue. Pierrafortscha hat nach der letzten Zählung 134 deutsche und 90 welsche Einwohner. Aber nach dem Freiburger Stcuerrodel müssen die Weiler, welche diese Gemeinde bilden, im 15. und 16. Jahrhundert fast ganz deutsch gewesen sein. Marly-le- Grand hat in seinen Sprachverhältnissen sehr geschwankt. Gegenwärtig ist es vorwiegend französisch, indem 1888 von 81 Haushaltungen mit 392 Personen nur 15 mit 60 Personen deutsch sprachen. Vom 13.—15. Jahrhundert war die Gemeinde allerdings vorherrschend romanisch, aber in den zwei folgenden Jahrhunderten doppelsprachig. Marly-le-Petit ( Klein-Mertenlach) war 1880 zu zwei Dritteln deutsch, hatte aber 1888 die deutsche Mehrheit wieder verloren. Ferpicloz ( deutsch Pichten) zählt unter 29 Haushaltungen mit 149 Personen 7 deutsche mit 29 Personen. Im 15. Jahrhundert war her Ort vorwiegend deutsch. Essert ( deutsch Ricdl ist gegenwärtig ganz romanisch, aber mehr als zwei Drittel der Familien haben deutsche Namen, und alte Geschlechts - und Tauf- namcnverzeichnisse lassen vermuten, daß im 15. und 16. Jahrhundert die Bevölkerung auch der Sprache nach deutsch war. — Die einst vollständig deutsche Gemeinde Bonnefontaine ist heute fast durchaus welsch. Der Umschwung zu Gunsten des romanischen Idioms hat sich in verhältnismäßig naher Vergangenheit vollzogen. Die im Gemeindearchiv vorhandenen Schriften aus dem 17. und 18. Jahrhundert sind noch durchweg deutsch, ebenso die Personen- und Flurnamen in großer Mehrzahl. L a Röche (deutsch Zur Flüh) zählt 267 Haushaltungen mit 1119 Seelen, darunter nur eine einzige ganz deutsche Familie. Aber die wichtigsten topographischen Bezeichnungen und ein Drittel aller Flurnamen sind deutsch. Nicht minder gemischt sind die Einwohnernamen. „Aus dem Ur- kundcnmatcrial geht hervor, daß in das ursprünglich romanische, verhältnismäßig schwach bevölkerte Gebiet im Laufe des Mittelalters ein starker Zufluß deutscher Kolonisten stattfand, welche die vorhandenen romanischen Siedelungen durchsetzten, die noch unbebauten Landstrecken durch Rodung und Schwcndung urbarisierten, und eine Anzahl neuer Weiler und Gehöfte anlegten. Diese Kolonieen waren schon im 13. Jahrhundert vorhanden und sind erst in neuerer Zeit infolge kirchlicher und wirtschaftlicher Anlehnung an den Westen und dann durch die französische Schule der Romanisierung anheimgefallen." Doch auf die Rolle, welche Kirche und Schule in dem Sprachenkampfe auf dem ganzen rechten Ufer der Saaue von Voll bis Freiburg gespielt haben, kommen wir hernach noch zu sprechen. 24 Wir schließen diese Uebersicht mit Jaun (französisch Bellegarde), der einzigen deutschen Gemeinde im Bezirk Grcierz. Unter den 170 Haushaltungen mit 843 Seelen sind 4 Familien ganz welsch, 7 Familien gemischt. „Die meisten Leute, besonders die Männer, sprechen außer dem Deutschen auch das Patois mehr oder minder geläufig. Die Schulen sind deutsch. Sie wurden aber im Jahre 1882 „aus praktischen Gründen" vom deutschen Inspektionsreise (Sense- bezirk) abgelöst und dem französischen Inspektor in Voll untergeordnet. Aus demselben Jahre stammt wahrscheinlich auch die Aufschrift «Lsols Urimsios» über dem Eingang der Dorfschule." In dem seit 1803 zum Kanton Waat gehörigen Pays d'Enhaut zählt Chsteau d'Oex (deutsch Oesch) 2413 welsche und 248 deutsche Einwohner, meist aus dem Saanenlande und dem Simmental eingewandcrte, Rossiniöre 732 welsche und 30 deutsche, Rongemont ( deutsch Röschmund) 1000 welsche und 174 deutsche. Das schon in einer Urkunde von 1115 erwähnte Gehöft des Allamans östlich von Rongemont und das Schwabenried bei Saanen bezeichnen hier die alte Sprachscheide. Saanen ( französisch Gcssenay) im Kanton Bern hat unter 3732 Einwohnern nur 29 von Haus aus welsche. Dagegen können die Deutschen fast ohne Ausnahme auch einigermaßen französisch, da der wirtschaftliche Verkehr mit dem Pays d'Enhaut und dem Waatland überhaupt bedeutender ist als mit dem Simmental und dem übrigen Kanton Bern. Ueber die Sprachgrenze ini Wallis während des Mittelalters sagt Andreas Heusler in seinen „Rechtsquellen des Kantons Wallis" S. 7: „Kaum eine halbe Stunde unterhalb Sitten, bei dem Dorfe Gundis oder Conthey, ergießt sich von Norden, den Berner Alpen herabkommend, ein Flüßchen namens Mors (französisch Morge) in die Rhone. Es teilt das Tal in das Land ob und nid der Mors, s küorZis. LoottrsKÜ supsrius st intsrius. Dieses Flüßchen hat ursprünglich nicht die Grenze zwischen der Bevölkerung deutscher und französischer Zunge gebildet; die Grenze hat weiter oben, zwischen Lcuk und Raron gelegen. Aber in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts ist unter dem Einflüsse der Obcrwalliser Landschaften und ihrer politischen Vorherrschaft die deutsche Sprache wirklich bis zur Mors vorwiegend und maßgebend geworden, und erst in neuerer Zeit hat sich die Sprachgrenze wieder nach oben verschoben und bewegt sich jetzt zwischen Siders und Leuk." — Wenn Heusler die Sprachgrenze erst im 15. Jahrhundert an die Mors verlegt, so besagt doch bereits eine Urkunde von 1277 (drsmsuä, OocumsiUs rslutils ü I'IUstoirs du Vs.Is.i8, II, 188): «ponts8 äs 8udtus Vsrtvs^, ubi äisituv ss Vslv8» ( d. h. „bei den Welschen"). Vertrcy ist das heutige etwas unterhalb Conthey gelegene Vütroz; dort findet sich noch zur Stunde ein altes Blockhaus mit deutscher Inschrift. Ueber Sitten und Bremis äußert Zemmrich: „Die Zahlenreihe für Sitten läßt vermuten, daß die Stadt noch in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts überwiegend deutsch war. Mit Bremis ist auch der letzte Rest der ehemaligen deutschen Sprachinsel der Romanisierung anheimgefallen." 25 VII. Von wesentlicher Bedeutung für die Geschichte der Sprachverhältnisse ist der Uebergang vom Patois zur Schriftsprache. Bon Charmoille im Berner Jura ausgehend, sagt hierüber Zimmerli: „Hier wie in der weitaus größer» Zahl der romanischen Ortschaften, durch welche unsere Wanderung uns führen wird, ist das Patois offiziell verpönt. Der Lehrer bestraft die Kinder, wenn er sie auf der Straße Patois reden hört. Doch ist die Mundart hier wie in der Ajoie (Alsgau) und im katholischen Gebiete des Jura überhaupt noch sehr lebendig." Im weiter« entnehmen wir den Erhebungen Zimmerlis folgendes: Bourrignon (deutsch Bürkis), Pleigne (deutsch Plen), Movelier (deutsch Moder- schwil), Mettcnberg und Saugern sprechen zumeist Patois. Delsberg, soweit es nicht deutsch ist, spricht fast ausschließlich französisch, das ganze Scheultetal oder Val Derby hingegen Patois, soweit nicht deutsche Einwanderung vorherrscht. Doppelsprachigkeit ist ziemlich allgemein. In den Ortschaften des Bezirkes Münster: Corcclles, Creminc, Eschert, Belprahon (deutsch Tiefenbach) und in Münster selbst spricht fast die ganze Bevölkerung sowohl französisch als deutsch, in Granselden, Court, Sorvilier und Tavannes herrscht noch das Patois vor. Büderich, im Bezirk Courtelary, mit deutscher Majorität, spricht deutsch und französisch, das Patois ist im Aussterben begriffen. In Orvin und in Plagne überwiegt noch das Patois, in Bauffelin und Romont halten sich Französisch und Patois neben Deutsch die Wage. In Viel und den umliegenden Dörfern wird neben Deutsch französisch gesprochen. Tesseuberg spricht noch Patois, Ncuenstadt französisch. In sämtlichen neuenburgischen Ortschaften an der Sprachgrenze ist das Patois ausgestorben oder im Aussterbcn begriffen; wie das übrigens, fügen wir bei, im ganzen Kanton Neuenburg der Fall ist, ebenso in allen reformierten Gemeinden des Kantons Gens und rings am waatländischen Seeufcr. Aus den Erhebungen von F. Häfelin (Uss putois romans äu eLirtor» äs IHbouvK', DvipLiA 1879) und aus den Mitteilungen von Herrn Zimmerli ergibt sich, daß das Patois im Kanton Freiburg noch fast durchweg, die Stadt- bevölkerung teilweise ausgenommen, die gewöhnliche Umgangssprache bildet. Doch macht sich hie und da bereits auch auf dem Lande der franzosisierende Einfluß der Schule geltend: das Patois verliert Boden, die Jugend spricht französisch; so in Barbersche, in Bas-Builly und Haut-Vuilly. In Courgevaux sprechen die Erwachsenen unter sich Patois, aber mit den Kindern französisch. In CHLteau d'Oex, Kanton Waat, ist die Umgangssprache französisch, im Etivaztal aber und auf den umliegenden Höfen herrscht noch das Patois, ebenso meist auch in Rougemont. Nach eigener Beobachtung kann ich beifügen, daß auch im Wallis das Patois noch durchgängig die gewöhnliche Umgangssprache bildet, daß aber daneben fast alle jüngern Leute auch das Französische sprechen, und zwar besser als bei uns der gemeine Mann das Gutdeutsche. 26 Dieser letztere Punkt verdient besondere Beachtung. Denn wenn seit einigen Jahrzehnten die Romanisierung der deutschen Einwanderer und hie und da der Grenzbewohner neuerdings merkliche Fortschritte macht, so trifft diese Erscheinung zusammen mit der seit der Revolution und seit Einführung guter Schulen beschleunigten Verdrängung des Patois durch das Französische. So lange die französische Schweiz im täglichen Verkehr ihre romanischen Mundarten sprach, standen an der Sprachgrenze Mundart gegen Mundart, ohne daß eine über die andere überwogen hätte. Seit aber die einheimischen Mundarten der welschen Westschweiz entweder ganz ausgcstorben sind, oder neben dem vordringenden Französisch nur noch ein prekäres Dasein fristen, ist die Sachlage vollständig verändert: jetzt treffen sich an der Sprachgrenze und in den Grenzgebieten einerseits die einheitliche von Paris ausstrahlende Schrift- und Weltsprache, mit ganz Frankreich als Rückhalt, anderseits verkümmerte deutsche Mundarten, die jeder litterarischen Pflege bar, ein paar Meilen weiter von ihren eigenen Sprachgenossen kaum mehr verstanden werden. Uebcrcinstimmend damit sagt Herr Pros. W. Strcitbcrg in seinem Bericht über die Publikation von Schneuwli-Büchi („Münchener Allgemeine Zeitung" 1893, Nr. 83, 86): „Zweifellos ist der Hauptgrund für diese betrübende Erscheinung (der steigenden Abnahme des Deutschen) darin zu suchen, daß der ungebildete Deutschschweizer der deutschen Schriftsprache nur äußerst unvollkommen mächtig ist. Zwingt ihn daher eine neue Umgebung, französisch zu sprechen, so kann die deutsche Mundart der neuerlernten französischen Schriftsprache keine Konkurrenz machen, sondern wird jedesmal den kürzern ziehen. Mit ihr unterliegt aber auch das Deutschtum überhaupt. Diesen bedauerlichen aber natürlichen Lauf der Dinge beschleunigen leider recht befremdliche Umstände, die beim rechten Namen zu nennen schwer fällt." Aber auch in der öffentlichen Meinung der Schweiz genießt das Deutsche durchaus nicht dieselbe Achtung wie das Französische. Das letztere erscheint als die Knltursprache pur oxeollörms, neben dem die Landessprachen kaum mehr sind als eine Art Patois. Es hat das ja seine geschichtlichen Grunde. Deutsche Fürstenhöfe und schweizerische Aristokratiecn haben redlich mitgeholfen, diese Anschauung großzuziehen. Was wunder also, wenn auch unser Landvolk heute noch das Französische „d'Sproch" kurzweg nennt. Daß von französischer Seite eine derartige Meinung gehegt und gepflegt wird, wer will es verdenken, angesichts der gewaltigen Vorteile, welche im Völkerverkehr daraus entspringen. In der Heimat unseres Jeremias Gotthelf kommt es, wie man behauptet, nicht selten vor, daß die Familien zwar im vertrauten Umgang ihr nrchiges Berntütsch sprechen, in guter Gesellschaft aber nicht schriftdcutsch, sondern französisch. Von diesem Stand der Dinge bis zur vollständigen Französisierung ist nur noch ein Schritt und dieser Schritt wird eingeleitet durch die französisch sprechende Kirche und Schule. 27 VIII. Ueber beide bietet uns Zimnierli, was den Berner Jura und den Kanton Freiburg betrifft, sehr dankenswerten Ausschluß. Weiteres entnehmen wir dem. Jahresbericht über die Wirksamkeit der protestantisch-kirchlichen Hilfsvereine in der Schweiz im Jahre 1894. Beginnen wir wieder mit dem Jnra: In Morschwyler, wo die deutsche Gemeinde Schelten kirchengenössig ist, liest der Pfarrer am Sonntag das Evangelium deutsch und französisch und predigt jeden Monat einmal deutsch; an kirchlichen Festtagen hält er eine französische nnd eine deutsche Predigt. In Bermes (deutsch Pfcrdmund) predigt der Pfarrer, hauptsächlich aus Rücksicht auf den vorwiegend deutschen Annex Miller, zweimal monatlich in deutscher Sprache; das Evangelium und alle pfarramtlichen Anzeigen werden in beiden Sprachen gelesen. Der für den ganzen Bezirk bestellte deutsch-protestantische Pfarrer in Münster ist zu sehr in Anspruch genommen, um allen Anforderungen genügen zu können; er wird im Bcdürfnisfalle vom Pfarrer von Granfelden unterstützt, der sich dann der deutschen Sprache bedient. Die deutsch-protestantische Pfarrgemeinde in Münster wurde 1831 gegründet, um die umwohnenden Wiedertäufer in den Schoß der protestantischen Kirche zurückzuführen. In der katholischen Kirche wird einmal monatlich deutsch gepredigt. Die deutsche Kinderlehre wird fast ausschließlich von Kindern ab den Berghösen besucht. Auch in Court predigt der deutsche Pfarrer von Münster einmal des Monats. Die Wiedertäufer, die zum Teil schon im 16. Jahrhundert eingewandert sind und die seither den Kern der deutschen Ansiedlung auf den Höfen des Jura bildeten, sind in letzter Zeit an Zahl sehr zurückgegangen. Seitdem sie der Staat zur Erfüllung der allgemeinen Wehrpflicht heranzieht, wandern jährlich viele nach Amerika aus. Rotmund gehörte bis 1841 zur deutschen Pfarrei Pieterlen, ist aber jetzt der romanischen Pfarrei Vauffelin zugeteilt. In Viel gibt es eine protestantische Kirche, in der abwechselnd deutsch und französisch, eine katholische, in der abwechselnd deutsch und italienisch, und eine altkatholische, in der nur deutsch gepredigt wird. In Neuenstadt haben die Deutschen seit 1830 einen eigenen Pfarrer, ohne jedoch eine eigene Kirchgcmeinde zu bilden. Der deutsche Gottesdienst wird aber fast nur von der flattierenden Bevölkerung besucht; die Kinder deutscher Eltern gehen sozusagen alle in den französischen Religionsunterricht, so daß der deutsche Pastor 1890 nur 7 Katcchumenen zu unterrichten hatte. Außer den Genannten bestehen im Berner Jura noch deutsch-evangelische Predigerposten in St. Inner und Courtelarp, von wo aus die deutsche Pastoration des ganzen St. Jmmertales besorgt wird, und in Porrentruy. Noch weniger genügend als die deutsche Seelsorge ist der deutsche Schulunterricht bestellt. Der Berner Jura zählte 1888 eine wesentlich seßhafte deutsche Bevölkerung von 21,078 Köpfen, neben 76,120 romanisch Sprechenden. Auf 28 diese große Anzahl kamen im Jahre 1879 fünf deutsche Schulen und eine sechste, in welcher das Deutsche als Unterrichtsfach gelehrt wurde. Genauere Notizen bringt Zimmcrli aus dem Jahre 1890. „In Saugern," sagt er, „wo von 73 Schülern 32 von Haus aus deutsch sind, ist die Unterrichtssprache französisch, doch wirkt an den untern Klassen eine Lehrerin aus einer benachbarten deutschen Gemeinde, so daß die Schule hier unter der Sprachmischung verhältnismäßig weniger zu leiden hat, als in einer Anzahl anderer jurassischer Gemeinden, wo die Lehrer, bei analoger Mischung der Schülerschaft, des Deutschen gar nicht oder doch nur in sehr unzulänglicher Weise mächtig sind." Ferner aus Delsberg: „Die deutsche Schule, die von 1869—1887 hier bestand, teilte das Schicksal der Mehrzahl ihrer Schwestergründungen im Jura; sie scheiterte an der Antipathie der eingebornen Bevölkerung und mehr noch an der Indifferenz vieler Deutscher, die es vorzogen, ihre Kinder in die besser ausgerüsteten französischen Schulen zu schicken. Als Kompensation für die Aufhebung der deutschen Schule werden seit 1887 in den zwei obersten Klassen der französischen Primärschulen 2 (sage 2!) Stunden wöchentlich Deutsch gegeben. In Rennendors kamen 1890 auf 174 Kinder 78 deutsche, in der Schule wird aber nur französisch unterrichtet. Ein Annex von Rennendors ist Choindez (deutsch Schwende) mit 35 deutschen und 1 romanischen Haushaltung. Hier wurde in dem von der dortigen Gießerei erbauten Schulhause im Jahre 1884 eine französische Primärschule eröffnet. Bald wurden Stimmen laut, welche die Umwandlung der französischen Schule in eine deutsche verlangten. Dieses Begehren rief eine lange Polemik hervor und stieß von Anfang au auf eine entschiedene Opposition von feiten der welschen Gemeindeangchörigen in Rennendors. Eine erste Gemcindeabstimmung fiel zu Gunsten der Gcrmanisieruug der Schule aus, wurde aber wegen eines Formfehlers vom Bezirksstatthalter kassiert; eine zweite, am 23. September 1888, bei welcher die welschen Stimmberechtigten sich enthielten, ergab 220 Stimmen in demselben Sinne und brachte diesen Schulstreit zum Abschluß." Ju Envelier (deutsch Miller) findet sich eine Schule mit 25 deutschen und 8 welschen Kindern; der Lehrer spricht aber fast gar kein Deutsch. Cr^mine ist zur Hälfte deutsch; in den obern Klassen seiner Primärschule figuriert das Deutsche als Unterrichtsfach. Die Primärschule in Eschcrt zählt 56 Schüler, davon 46 deutsche; der Lehrer ist aber des Deutschen nur unvollkommen mächtig. Münster, 1888, zählte 266 romanische und 216 deutsche Haushaltungen. Die deutsche Schule, welche früher hier existierte, wurde 1872 auf Reklamation der Ortsschulbchörde vom Staate aufgehoben. Ein Ersatz durch Einführung des Deutschen als Unterrichtsfach wurde hier nicht geboten. Seit 1884 besteht in Schluep, einem Annex von Münster, eine öffentliche deutsche Schule, die an die Stelle der früher auf dem Münsterberg unterhaltenen Privatschule getreten ist. Sie wird von den Höfen der Gemeinden La Röche, Perrefitte und Soulce beschickt. An ihren Unterhalt trägt die Gemeinde Montier 400 Fr., die Gemeinde La Röche 80 Fr., der Staat 100 Fr. bei, das übrige wird aus dem Schulgeld bestricken, das 5 Fr. per Schüler beträgt. Die deutschen Ansiedler in der Ball« de Chalnet bei Court haben auf dem Gehöfte Wintercck eine eigene deutsche Schule gegründet, die teils durch Privat- mittel, teils durch Beiträge aus der Gemeindekasse unterhalten wird. Auf dem Montoz bei Sorvilier bestand seit 1882 eine deutsche Schule, die von den Kindern der zahlreichen deutschen Pächter der Umgegend besucht wurde; im Herbst 1889 ist sie eingegangen, weil die beteiligten Eltern ihren Anteil an der Bestreitung der Lehrerbesoldung nicht mehr bezahlen wollten. Büderich zählt 84 romanisch und 80 deutsch sprechende Haushaltungen. Auch die Kinder welscher Eltern verstehen beim Eintritt in die Schule deutsch, die Deutschen aber gewöhnlich kein Französisch. Die Schule ist ausschließlich französisch und die auf der untern Stufe wirkende Lehrerin verkehrt mit den deutschen Kindern in der ersten Zeit fast nur durch Vermittlung welscher, die beider Sprachen mächtig sind. Fridlinsschwanden, mit 14 deutschen und 6 welschen Haushaltungen, hatte bis 1863 eine deutsche Privatschule, die dann durch eine Staatsschule mit französischer Unterrichtssprache ersetzt wurde. Ich füge aus eigener Beobachtung bei, daß der Lehrer kein Deutsch versteht. In Madretsch wurden im Jahre 1877 die ersten französischen Primarschul- klassen errichtet. Gegenwärtig besteht hier eine vollständige französische Gemeindeschule mit 108 Schülern, gegenüber 301, welche die deutsche Schule besuchen. ' Weder wird in der französischen Schule deutscher, noch in der deutschen französischer Unterricht erteilt. Bözingen hat 510 Haushaltungen, darunter 33 französische. In der Primärschule sind vom 4. Schuljahr an wöchentlich 6 Stunden dem Unterricht im Französischen eingeräumt. Magglingen, eine halbe Stunde von Leubringen, hat 27 deutsche Pächter- familien und eine deutsche Schule mit 26 Schülern, die kein Französisch verstehen. In Viel wurde die erste französische Schule errichtet im Jahre 1845. Im Januar 1890 gab es 9 französische Knabeuklasscu und 9 französische Mädchen- klassen neben 16 deutschen Knabenklassen und 16 deutschen Mädchenklassen. Am Progymnasium wird nur in deutscher Sprache gelehrt; die welschen Schüler erhalten in der ersten Klasse einen besondern Vorbereitungsunterricht. In Ligerz wurde die Schule 1816 deutsch. Die drei obersten Klassen der Primärschule in Neuenstadt (mit 827 deutschen und 1476 welschen Einwohnern) haben für den Unterricht im Deutschen wöchentlich 3 Stunden angesetzt; diese Stunden sind aber fakultativ und werden verhältnismäßig wenig besucht. Der Kanton Neuenburg, mit 22,579 deutschen Einwohnern, besitzt überhaupt keine deutschen Schulen; selbst nicht in Thielle-Wavre, dessen französische Schule im Dezember 1889 42 deutsche und 8 welsche Kinder zählte. Deutsche Pfarrer besitzen die Stadt Neuenburg zwei, Cernier, Chaux-dc-Fonds, Fleurier und Locke je einen. Im Freiburgi scheu gibt es deutsche Gemeinden, welche das Französische als obligatorisches Lehrfach in die obern Klassen der Primärschule eingeführt haben, z. B. Montelier. Das Gegenteil, Deutsch als Lehrfach an Primärschulen 30 französischer Gemeinden, kommt nicht vor, selbst nicht in Gemeinden mit starker deutscher Minderheit. So hat Courgevaux neben 55 welschen Haushaltungen 42 deutsche, aber in der Schule wird das Deutsche vollständig ignoriert. Mcyriez (deutsch Mcrlach) hat sogar eine deutsche Majorität von 31 Haushaltungen mit 131 Personen neben 17 welschen mit 83 Personen, aber die Schulsprache ist ausschließlich französisch und das Deutsche ist nicht einmal als Lehrfach aufgenommen. Der Pfarrer predigt nur französisch, aber bei Taufen, Trauungen und Beerdigungen deutscher Gemeindeangehörigcr auch deutsch. In einer Reihe von Gemeinden mit starken deutschen Minderheiten sind die deutschen Kinder auf den Besuch sogenannter deutscher Frcischulen angewiesen, d. h. Privatschulen, die von Gemeinde und Staat unterstützt werden. So in Cressier (deutsch Grissach) mit 53 welschen und 17 deutschen Haushaltungen. Kirche und Schule sind ausschließlich französisch. Die deutschen protestantischen Familien schicken ihre Kinder nach Gurmcls in die dortige deutsche protestantische Freischule; die Kinder der deutschsprechenden katholischen Eltern besuchen die französische Gemeindeschule. In Courtcpin, welches neben 153 welschen 86 deutsche Einwohner zählt, besteht neben der 1876 gegründeten französischen katholischen Gemeindeschule eine deutsche protestantische Freischule, die von den zerstreut in der Umgegend wohnenden Protestanten beschickt wird. An der Bestreitung der Kosten beteiligen sich der protestantisch-kirchliche Hilfsverein, der die Schule im Jahre 1859 ins Leben rief, mit 400 Fr., der Staat mit 334 Fr., die Fraucnvercine von Bern und Zürich mit 85 Fr. und die Protestanten des Schulkrcises mit 750 Fr. Eine deutsch-französische Privatschule wird erwähnt in Voll. Die deutsche protestantische Freischule in Frciburg wird beschickt von den bernischcn Pächtern der Dörfer in der Umgegend: Grange-Paccot (deutsch Zur Schüren), welches 's/s Dcutschsprcchende zählt; Givisiez (deutsch Sicbcnzach) mit 54 Deutschen auf 156 Einwohner; Cormiubocus mit 87 Deutschen auf 395 Einwohner; Pierrafortscha, welches sogar nach der letzten Zählung eine deutsche Majorität besitzt von 134 Seelen neben 90 welschen. Die Kinder der Welschen und in der Regel auch die der katholischen Deutschen, besuchen die französische Gcmeindeschule in Marly-le-Grand. Die Bevölkerungsverhältnisse dieses letztem Ortes haben wir oben angeführt. Die dortige Schule war bis 1840 zweisprachig. Im Oktober 1840 wurde die deutsche Abteilung zum erstenmal aufgehoben, 8 Jahre später auf erfolgte Reklamationen wieder eingerichtet; seit 1868 ist das Französische ausschließlich Unterrichtssprache. Die Deutschen, meist innerhalb der letzten 20 Jahre eingewandert, schicken ihre Kinder sämtlich in die französische Gemeindeschule. „Einige derselben geben sich redliche Mühe, für Welsche gehalten zu werden, und sprechen in ihrer Familie einen häßlichen Jargon, zu dem Patois, Französisch und Deutsch beisteuern müssen." Da ist es denn nichi zu verwundern, wenn im benachbarten Marly-le-Petit (deutsch Klein-Mertenlach), welches 1880 zu zwei Dritteln deutsch war, 1888 aber die deutsche Mehrheit wieder verloren hat und nur eine ausschließlich französische Schule besitzt, auf die Frage, warum nicht auch in deutscher Sprache unterrichtet werde, ein Schulinspektor antwortete: « stsus voulöL-vous; es ir'ost ps.8 uns iLnZus, o'sst uir vilmn pmtois!« Ependes ( deutsch Spinzt war einst eine sehr ausgedehnte Pfarrgemeinde, zu der auch die ganze 31 heutige Pfarrei Praroman mit den Dörfern Bonnefontaine, Oberried, Zgnauva und Montövraz gehörte. Da die östlichen Gemeinden dieser Pfarrei im 15. und 16. Jahrhundert oder schon früher doppclsprachig oder vorwiegend deutsch waren, so mußten die Pfarrer einen deutschen Hilsspriester haben. Aber nur durch wiederholte Geltendmachung äußern Druckes vermochten sich diese Gemeinden die deutsche Predigt zu sichern. Ependes selbst hat nur eine französische Schule. Einige der wenigen deutschen Familien (protestantische Berner) schicken ihre Kinder in die deutsche protestantische Freischule in Ferpicloz (deutsch Pichten). Letztere besteht seit 1863. An die Deckung der Kosten leistet der Staat ^1,, das übrige wird vom protestantischen kirchlichen Hilssverein und von den beteiligten Eltern bestritten. Die vorgenannten 1644 von Ependes abgetrennten Gemeinden waren nach der Volksüberlicferung einst wie Essert und Ferpicloz vorwiegend deutsch oder doch doppclsprachig, heute sind sie völlig romanisiert. Ueber die sprachliche Wandlung von Bonnefontaine wurde oben berichtet: „Der äußere Abschluß des Nomanisicrungsprozesses hat eigentlich erst 1880 mit der Unterdrückung der deutschen Predigt stattgefunden, die bis dahin noch jeden Monat einmal zu Praroman gehalten worden war. Ueberhaupt scheint die Kirche in dem stillen Sprachenlämps, der seit dem ausgehenden Mittclalter in dieser Gegend stattgefunden, mit ihrem moralischen Einfluß mehr oder weniger bewußt auf Seite des welschen Idioms gestanden zu haben." Im Waatland kommt auf 28, im Kanton Genf aus 42 Deutsche 1 Schulkind, hingegen im deutschen Teil der Kantone Wallis und Freiburg schon auf 6. Dieser auffallende Unterschied erklärt sich wesentlich dadurch, daß in den Kantonen Genf und Waat die deutsche Bevölkerung in der Mehrzahl eine fluktuierende ist, die vereinzelt und meist in dienstlicher Stellung lebend keine Familie bildet, also auch keine Kinder hat in die Schule zu schicken. Das Waatland hat denn auch, so weit ich erfahren konnte, für seine 23,873 deutsch- sprechenden Einwohner keine einzige deutsche Schule oder Schulabteilung, nicht viel besser steht es dort um die deutsche Seelsorgc. Losancn hat zwei deutsche Geistliche. Weitere deutsch-protestantische Predigerposten finden sich in Aelen, in Bex, Montreux, Morsee (von wo aus auch Rolle, Neus und Aubonne pastoriert werden), Petcrlingen (zusammen mit Wifflisburg, Milden, Cudrefin, Grancy und Lucens), Jfferten (niit Orbe und Ste. Croix). In Orbe findet monatlich zweimal deutscher Gottesdienst statt, in Ste. Croix einmal, hie und da auch in Grandson, Cossonay, Coucise und Donneloye. Es wird bemerkt, daß der Kirchcnbesuch in erfreulicher Zunahme begriffen sei. Genf hat eine vollständige deutsche Schule und drei deutsche Geistliche für die blAliss irLtionnIs, die L^lise librs und die LZliss allsmLircls lutliSrisnrm. Sowohl im deutschen als im romanischen Wallis kommt je 1 Schule auf 41 Schulkinder. Sitten hat neben 10 französischen 2 deutsche Schulen, Bremis (1888) eine deutsche und eine französische. Außerdem unterhält der protestantische Verein von Basel ein Pensionat und zwei Unterschulen in Saxon und in Sitten. Ein protestantischer Geistlicher predigt deutsch und französisch in Sitten und deutscher Gottesdienst findet auch in Monthey statt. 32 IX. Fassen wir die Ergebnisse unserer Untersuchung zusammen. Es sind folgende: 1. Im bisherigen Gebiete der sogenannten französischen Schweiz werden die einheimischen romanischen Mundarten zusehends vom Französischen verdrängt. 2. Gleichzeitig wird in dem Maße, wie die deutsche Einwanderung nach Westen strömt, dieselbe romanisiert und zwar hat die Romanisierung im letzten Jahrzehnt so zugenommen, daß trotz größerer Fruchtbarkeit der Deutschen die Gesamtzahl der Französischsprechenden im Verlauf dieser Periode in der Schweiz um 0,30 bis 0,38 o,'o gewachsen ist, während die Auswanderung Deutscher speziell im Kanton Bern einen Rückgang der Deutschsprechenden von 0,47 bis 0,48°/a und in der ganzen Schweiz einen solchen von 0,04 bis 0,31 °/o der schweizerischen Gcsamtbevölkerung herbeigeführt hat. 3. In den an der Sprachgrenze liegenden Centren der Bevölkerung sind französische Kolonieen im Wachsen begriffen und die völlige Französisierung dieser Centren scheint nur noch eine Frage der Zeit. Solche Centren sind Biet, Frei- bürg und Sitten. An beiden letzteren Orten bilden die Franzosen, wie es scheint seit Anfang des Jahrhunderts, die Mehrheit. 4. Der Deutschschweizer bekundet durchweg, im öffentlichen wie im Privatleben, im Vergleich zum Franzosen eine große Schwäche seines nationalen Sprachgefühls. Er eignet sich das Schriftdeutsche nur langsam, nicht allgemein und unzureichend an. Hie und da zeigt sich sogar größere Hinneigung zum Ueber- gang von der deutschen Mundart zum Französischen als zum Schriftdeutschen. 5. Ani meisten zur Romanisierung der Deutschen in der französischen Schweiz trägt die französische Schule bei und der durchaus ungenügende Stand der dortigen deutschen Schulen. Wir schließen mit dem schönen Worte des Tcssiners Aristide Baragiola, der in seinem 1891 erschienenen «II cnnto popolnim n kosen o Kurin » sagt: «Im linAun rnntorng, in oui sspvimigrno i nostri gKstti, si ciovrebbs ovun^us rispstturs. X koseo, eoms purs nolls eolonio toässelrs in kis- rnonto, si ctovrsbbsro inssAngrs cii pari pnsso s il tsckoseo s 1'itnligno. Xon si In lo stssso nslts vglli lr-gnensi in kismonts, äovo si inseKnnno proinisLnnrnsnto il trnnosss s I'itslinno? Ii.irng.NAN lung la tinAug äst euors, äivsnti I^nltrg In linAua äsZIi aUgri.» Aarau, Oktober 1895. Lsnli'sloidliomsl« LUficn ^^0LS88574 -i WWß»-